THEOLOGIE VON A BIS Z
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Dein Wille geschehe!
Matthäus 6, 10
Unser Vater im Himmel,
dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden. (Matthäus 6, 10)
„Dein Wille geschehe!“ Lange Zeit konnte ich diese Bitte nur als Ausdruck der Ergebenheit verstehen. „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Ich füge mich in das Unvermeidliche. Ich bin einverstanden mit dem, was geschehen ist. Ich akzeptiere das Unveränderbare.
Jesus hatte ich dabei z. B.vor Augen. Im Garten Gethsemane unmittelbar vor seiner Verhaftung betet er: „Vater erspare mir diesen Leidenskelch. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Ich füge mich. Was ich möchte, ist weniger wichtig als das, was du willst.
Von Hiob z. B. kannte ich lange nur den Anfang seiner Geschichte. Hiob den ergebenen Dulder: Die schrecklichen Hiobsbotschaften erwidert er mit zwei Bekenntnissätzen, die mir den Atem verschlagen und mich sprachlos machen. Nach der Zerstörung seiner gesamten Existenzgrundlage und dem plötzlichen Tod seiner zehn Kinder samt ihrer Familien wagt er zu sagen: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt!“ Dein Wille geschehe. Und als er dann noch mit einer schrecklichen Krankheit geplagt wird, sagt er: „Haben wir Gutes von Gott empfangen und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ Dein Wille geschehe!
Viel zu viele Lieder unseres Gesangbuches vermitteln diese Botschaft. Durch solches Denken war unsere Elterngeneration geprägt, so dass wir als Kinder noch in den Fünfziger Jahren hörten: „Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen.“ Mein Wille ist nicht gefragt, habe ich gelernt. Ich habe mich zu fügen. Und das Vaterunser zementierte diese Botschaft mit steter Beharrlichkeit.
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Und dabei hat der, der uns dieses Gebet gelehrt hat, nach unserem Willen gefragt. „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ So hat er die Kranken gefragt. Was für eine dumme Frage, Jesus, so möchte man sagen. Was sollten Kranke anderes wollen, als geheilt werden! Aber Jesus besteht darauf, dass sie es aussprechen. Dass sie ihren Willen artikulieren. Wie wichtig der Wille des Kranken für seine Genesung ist, ist in der modernen Medizin erst kürzlich wieder entdeckt worden,
Mensch, dein Wille ist gefragt. Lass dich nicht klein machen. Artikuliere deinen Willen laut und vernehmlich! Protestiere gegen diese Welt, wie sie ist! Finde Dich damit nicht ab! Werde zur Rebellin wie Frau Hiob, die ihren Mann aus der Dulderpose herauslockt, so dass er am Ende selber zum Rebellen wird. Rebell gegen Gott. Ein Rebell, der Gott vor die Schranken des Gerichtes zitiert. Ihn anklagt. Ihn verklagt. Und gerade deshalb am Ende von Gott Recht bekommt gegen die Prediger der Duldsamkeit und der frommen Ergebenheit.
Im Mund von Frau Hiob und später auch im Munde Hiobs selbst hört sich die Bitte ganz anders an: Dein Wille geschehe! Setze deinen Willen endlich durch! Gott, tu endlich, was Deines Amtes ist! Da wird mit einem Mal eine ganz andere Weltsicht erkennbar. Unsere Welt entspricht nicht Gottes Willen. Längst nicht alles, was geschieht, ist Gottes Wille.
Was für eine Anmaßung, bei einer Bestattung den Satz zu wagen: „Dem Herrn unserem Gott hat es gefallen, diesen Menschen aus seinem Leben abzuberufen.“ Ich glaube nicht, dass es Gott gefällt, z. B. wenn Menschen durch Menschenhand umkommen, sich selber töten oder sich oder andere Menschen zugrunde richten. Wenn der Tod einen jungen Menschen aus blühendem Leben reißt, wenn er kleinen Kindern Mutter oder Vater nimmt... Das gefällt Gott ganz und gar nicht.
Kriege schickt nicht Gott und sie sind ganz und gar nicht nach seinem Willen. Der Hunger gefällt Gott ganz und gar nicht. Und erst recht nicht die Shoa, die beinahe Vernichtung seines Volkes Israel.
Also nicht alles, was auf Erden geschieht, ist Gottes Wille. Also haben wir uns auch nicht einfach darein zu fügen.
Was für eine kindische Gottesvorstellung steht hinter der Anschauung, dass alles, was geschieht, Gottes Wille sei! Gott als himmlischer Marionettenspieler, der die Fäden des Weltgeschehens zusammen hält und auf Erden die Puppen tanzen lässt? Der big brother? Die himmlische Steuerungszentrale? Der Allmächtige? Die Vorsehung?
Die Bibel jedenfalls redet anders von Gott. Da hat der Allmächtige einen Teil seiner Macht abgegeben. Der Schöpfer teilt mit seiner Schöpfung seine Macht. Er hat seine Geschöpfe in die Freiheit entlassen. Auch in die Freiheit, Törichtes und Böses zu tun.
Dass Gott nicht eingreift, wenn Menschen Unheil anrichten, ist für die Opfer solchen Tuns oft unbegreiflich. Dass er zulässt, dass die Schöpfung immer wieder Teile von sich selbst zerstört - durch Erdbeben, durch die Naturgewalten -, gehört zu unseren schmerzlichen Erfahrungen.
Die Freiheit hat wie immer einen hohen Preis. Da hört das Leben auf, bequem und behaglich zu sein. Da gibt es nicht die wohltuende Harmonie, in der alles so ist, wie es sein soll. Da gibt es kein Leben ohne Leiden. Da bleiben uns die Tränen nicht erspart. Denn durch die Freiheit wird Gerechtigkeit und Frieden aufs Spiel gesetzt.
Indem der Allmächtige zum Schöpfer wird, teilt er seine Macht mit seiner Schöpfung. Und die Kehrseite ist genauso richtig: so teilt der Allmächtige auch die Ohnmacht seiner Schöpfung. In einer solchen Situation wird die Brisanz des Vaterunser-Gebetes deutlich.
Indem Jesus Menschen auffordert, darum zu bitten, dass Gottes Wille geschehe, gibt er Menschen teil an Gottes Weltregiment. So sollt ihr sprechen „Unser Vater im Himmel, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“. Damit wird uns Macht verliehen. Damit bekommen wir teil an Gottes Macht. Gott ermächtigt uns.
Wir werden zu Gottes Stellvertreter und Stelvertreterinnen nicht nur dadurch, dass wir Gottes Schöpfung beherrschen, bebauen und bewahren. Nicht nur dadurch, dass wir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Gottes durch unser Tun werden. Auch unsere Gebete machen uns zu Bevollmächtigten Gottes. Dass dann unsere Taten unseren Gebeten zu entsprechen haben, versteht sich beinahe von selbst.
Gott möchte, dass wir ihn erinnern. Er würdigt uns, indem er uns beauftragt. Indem er uns bittet: Erinnert mich an meine Versprechen. „Dein Wille geschehe!“ Das heißt: „Tu, was du, Gott, versprochen hast. Lass Deinen Willen geschehen, wo immer er noch nicht geschieht! Führe zusammen, was sich entzweit hat! Lass Gerechtigkeit und Frieden sich küssen! Zerstöre die Macht des Todes und die Macht der Herren, die mit dem Tod uns regieren! Heile, was zerbrochen ist! Erweise dich als der, der du bist. Verbirg dich nicht länger in der Gestalt der Ohnmacht. Zögere nicht! Eile, uns zu helfen!“
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Die Brisanz der Gebetsunterweisung Jesu wird noch gesteigert, wenn wir die Doppeldeutigkeit des Nachsatzes der Bitte beachten. „Wie im Himmel, so auf Erden“. Da kann zunächst heißen: Im Himmel geschieht Gottes Wille schon. Nun soll er auch noch auf Erden geschehen. Eben „wie im Himmel“.
Radikaler noch ist die Bitte, wenn der Nachsatz so zu verstehen ist: Lass deinen Willen sowohl im Himmel, wie auf Erden geschehen. Vorausgesetzt würde dann, dass selbst im Himmel der Wille Gottes noch nicht immer und überall geschieht. Dass der Schöpfer Himmels und der Erden nicht nur seiner Erde, sondern auch seinem Himmel Freiheit eingeräumt hat. Auch in Gottes eigenem Haus ist dann noch nicht alles so, wie es sein soll.
Ein aufregender Gedanke! Aufregend, wie auch sonst in der Bibel vom Schöpfer Himmels und der Erden gedacht wird. Wenn der Allmächtige die Ohnmacht seiner Geschöpfe teilt und gerade darin seine Macht erweist, dann können wir Gott nur paradox denken: der Allmächtige wird ohnmächtig, der Freie lässt sich binden, der Unsterbliche lässt sich töten.
Dann ist nicht nur Gottes Schöpfung entzweit, dann wartet nicht nur sie auf Versöhnung, Heilung, Einung. Dann hat sich Gott auch selbst entzweit, selbst zerrissen, selbst entfremdet. Dann wartet auch Gott auf seine Versöhnung, auf die Aufhebung seiner Selbstentfremdung, Selbstentzweiung, Selbstzerrissenheit.
Dann wartet Gott auf Heiligen Geist. Auf die Kraft, die seine Schöpfung heilt und auf die Kraft, die Gott selbst heilt, die bewirkt, dass Gott, in sich zerrissen, wieder eins wird. Dass Gott alles in allem wird.
Dann sind die Bitten des Vaterunser-Gebetes Konkretionene der einen Bitte: „Komm Heiliger Geist!“ „Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme! Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden!“
Wenn Gott spricht: „Es werden Licht!“, so wird Licht. Wenn Gott spricht: „Es geschehe!“, so geschieht es. So macht er unsere Gebete zu seinen Machtworten. Machtworte, ja, aber keine Allmachtsworte. Unsere Allmachtsphantasien werden durch solche Gebte gerade heilsam gebrochen. „Alles ist möglich, dem der glaubt.“ Das sagt gerade der, der den Leidensweg der Schöpfung geht, der die Ohnmacht alles Geschöpflichen teilt. Der selber in Gethsemane und am Kreuz unerhört geblieben ist.
Einer meiner Schüler im Religionsunterricht sagte neulich: Das Vaterunser-Gebet fängt erst mit der Bitte an „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Vorher das ist höchstens... Ja, was? Das ist höchstens „ein Gebet für Gott“. Drei Bitten für Gott! Ja das bringt die Sache auf den Punkt. Und dann fügte ein anderer Schüler an: „Aber profitieren, das tun nebenbei auch wir davon.“ Genau. Wir bitten Gott für Gott – und profitieren nebenbei auch selbst davon.
Das ist eine wichtige Lektion, die wir in der Gebetsschule Jesu lernen können. Auf dieser Basis bekommen dann alle unsere Gebete ihren Platz.
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Von dieser Basis aus können wir wahrnehmen und aushalten, dass so viele unserer Gebete unerhört bleiben.
Wer ganz unbescheiden Gott an seine Versprechen erinnert und ruft „Dein Wille geschehe!“ der kann dann in aller Bescheidenheit seine eigenen Grenzen wahrnehmen Und zu unserer menschlichen Begrenztheit gehört es, dass zwischen unserem und Gottes Willen manchmal Welten liegen.
Am Anfang steht die Erkenntnis, dass wir womöglich den Willen Gottes gar nicht kennen. Jedenfalls kennen wir ihn nicht immer und in jeder Form. Das Bekenntnis „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ hat also seine Berechtigung. Das Bekenntnis ist richtig, wenn nicht zugleich das, was geschehen ist, mit Gottes Willen identifiziert wird. Die Bitte „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ hält die Situation gerade offen.
Sie stiftet Hoffnung. Sie lässt die Möglichkeit offen, dass aus Enttäuschungen Überraschungen werden. Dass am Ende in meinem Wollen Gottes Wollen geschieht. Oder umgekehrt: dass Gottes Wollen mein Wollen verändert. So oder so: dass Gottes Wille und mein Wille eins werden.
Eine Hoffnung, deren Erfüllung offen bleibt. Aber die Mut macht, zu beten und von Gott zu erwarten, dass er es am Ende doch alles gut macht.
„Protect me from what i want“ - Beschütze mich vor dem, was ich will! So kann man auf einer der modernen Spruchkarten lesen. Und manche hängen sich die Karte gut lesbar in die Küche oder über den Schreibtisch. Manche legen sie sich auch in ihre Bibel. Und dann könnte diese Bitte die erste Bitte eines langen Bittgebetes sein: „Behüte mich vor dem, was ich will!“
Dieser Satz lässt uns nicht verstummen. Sondern eröffnet viele andere Sätze, in denen ich mutig ausspreche, was ich will. Er lässt und Konkretionen wagen. „Was willst du, dass ich dir tun soll!“, ermutigt uns Jesus. Diese Spannung ist auszuhalten: Ich sage dir mutig, Gott, was ich will. Und ich bitte bescheiden: Bewahre mich vor dem, was ich will.
Eine Afro-Amerikanerin aus den Südstaaten der USA erzählt, dass sie als Kind morgens mittags und abends auf Knien Gott angefleht hat: Lass meine Haut weiß werden und meine Haare glatt und blond!“ Sie fährt dann fort: Gott hat meine Gebete erhört. Heute bin ich eine selbstbewusst schwarze Frau, die andere zur Selbstgewissheit und zum Beten ermutigt. Eine verblüffende Aussage: Gott hat meine Gebte erhört. Ja, sagt sie, Gott hat meine Gebete erhört, anders als ich es mir damals gewünscht habe.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden! Das ist noch nicht erfüllt. Aber es erfüllt sich hier und da. Es erfüllt sich oft verborgen und gelegentlich auch sichtbar. Gott ist noch nicht alles in allem. Aber er ist auf dem Weg dorthin und nimmt uns und seine ganze Schöpfung dahin mit. Er beteiligt uns an diesem Weg. Er möchte von uns erinnert werden. Und darum sollen und dürfen wir beten: Unser Vater im Himmel, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Amen.
Rainer Stuhlmann, Sonntag, 13. April 2008, Antoniterkirche Köln