THEOLOGIE VON A BIS Z
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03 – Christus, die Befreiung der Künste zur Profanität
Der reformierte Blick auf die Bilder. Gedanken zu einer theologischen Ästhetik. Teil III
Der reformierte Blick auf die Bilder, so hatten wir in der letzten Folge gesehen, bekommt seinen bestimmenden theologischen Impuls durch das biblische Kultbildverbot, das zweite Gebot. Umso überraschender ist es, dass das Neue Testament in dieser zentralen Frage vollständig schweigt. Das Verbot von Kultbildern kommt ebenso wenig vor wie die Erlaubnis, künftig konkrete Bilder zu gestalten. Die als Gegenargument im Laufe der Kirchengeschichte oft zitierten neutestamentlichen Aussagen über Christus als Bild Gottes (εἰκὼν τοῦ θεοῦ - imago dei) beziehen sich auf Genesis 1,26 und haben mit der Bilderfrage als solcher nichts zu tun; wie auch die alttestamentliche imago-dei-Lehre selbst keine Relevanz für die Frage nach den Kultbildern hat.
Wie ist aber das neutestamentliche Schweigen in dieser zentralen Frage zu deuten? Dazu hat der Schweizer Theologe und Schriftsteller Kurt Marti 1958 einen erhellenden Text geschrieben, der unter der programmatischen Überschrift steht: Christus, die Befreiung der bildenden Künste zur Profanität. Christus, das ist das erste Argument von Marti, bedeutet zunächst einmal einen Wechsel von der lokalen zur personalen Präsenz Gottes. „War bis zu Jesus Christus Gottes aktuelle irdische Residenz, in die er nicht gebannt war, in der es ihm aber gefiel, seinem Volke je und je zu begegnen, eine lokale Residenz (Stiftszelt, Tempel), so wählt Gott von nun an eine personale Residenz (Jesus Christus).“ Während bei der lokalen Präsenz durchaus religiöses Kunsthandwerk geschätzt wurde, ist das bei der personalen Präsenz nicht mehr vonnöten.
Zugespitzt (und zugleich polemisch gegen die damals grassierende Rede vom Verlust der Mitte gewendet) kann Marti deshalb als eine notwendige Folge schon der neutestamentlichen Lehre festhalten: „Die bildenden Künste verlieren ihre sakrale Mitte.“ Und das ist weniger ein Verlust als vielmehr die Eröffnung eines Freiraums, eines kulturellen Feldes, das nun eigenständig (heute würden wir sagen: autonom) gefüllt werden kann. Noch einmal mit den Worten von Kurt Marti:
„Die Kunstindifferenz des Neuen Testaments ist nicht eine Peinlichkeit, die zu entschuldigen, oder ein Mangel, der nachträglich zu beheben ist, sie ist überhaupt kein Negativum, keine Not, im Gegenteil, sie ist eine Befreiung — die Befreiung der bildenden Künste zur Profanität. Weil es seit Christus keine heiligen Räume und Gegenstände mehr gibt, gibt es auch keine heilige Kunst mehr. Die Unterscheidung zwischen sakraler und profaner, zwischen heiliger und weltlicher Kunst wird damit grundsätzlich hinfällig und theologisch irrelevant.“
Man kann diesen Punkt auch im Blick auf die aktuellen Diskussionen um Bild und Bibel nicht deutlich genug hervorheben: es gibt von nun an buchstäblich überhaupt keine Notwendigkeit mehr zu irgendeiner religiösen, heiligen oder christlichen Kunst – das heißt die Bilder wenden keine vorgebliche Not der Nicht-Präsenz Gottes. Und das weniger, weil Kultbilder weiterhin mit einem Tabu zu belegen wären, da sie gegen das 2. Gebot verstoßen (auch wenn dies weiterhin zutreffen kann), sondern deshalb, weil der grundsätzliche Sinn religiöser Kunst nicht mehr gegeben ist, sie ist mit der Zeitenwende sinn-los geworden. Wollte man dennoch auf religiöse Kunst setzen, müsste man hinter den Gedanken der personalen Präsenz Gottes zurückgehen, es wäre theologisch ein Rückschritt. Dass wir kein Bild Jesu Christi haben und die Umwelt Jesu auch keinen Wert darauf gelegt hat, ein Bild für die Nachwelt anzufertigen, ist keine Not, sondern eine Tugend.
Das Christentum ist der so beschriebenen Frei-Setzung zur profanen Kunst nicht bzw. mit 1500 Jahren Verspätung (und dann auch nur teilweise) gefolgt. Bereits zwei Jahrhunderte nach der Kreuzigung Christi beginnt es damit, das zweite Gebot außer Kraft zu setzen bzw. es exklusiv als Fremdgötterverbot zu interpretieren und im Interesse der Vermittlung der eigenen Theologie zunächst auf symbolische Bilder (Fisch, Guter Hirte, Lehrer), dann auf Kultbilder (z.B. Christus als Sol invictus) und später sogar auf Bildmagie zu setzen.
Im Kontext einer bilderreichen Umwelt wollte man nicht auf Bilder und Kultbilder verzichten. Mit dem Aufstieg zur Staatsreligion werden die symbolischen Christusbilder zu triumphierenden religiösen Herrschaftsbildern und wenig später zu anzubetenden Kultbildern. Es ist aber, das ist vielleicht wichtig festzuhalten, nicht das Volk, das als erstes derartige Bilder wünschte. Vielmehr benötigten die vermögenden Christen Symbole für ihre Trinkbecher und Vertrags-Sigel, da sie nicht im Kontext der heidnischen Kultur auffällig werden wollten. Die ersten Wünsche nach Bildern kommen aus der herrschenden Schicht. Erst später erweist sich die Bilderkultur auch als wirkungsmächtig zur Beeinflussung der breiten Massen und wird sozusagen strategisch eingesetzt.
Kreuzigung auf einer Elfenbeintafel 420 n.Chr. © British Museum
Um 430 finden wir die ersten ausgearbeiteten Kreuzigungsdarstellungen, in die bereits die Ergebnisse der christologischen Debatten der damaligen Zeit eingeflossen sind. Auf dem Ausschnitt der nebenstehend abgebildeten kleinen Elfenbeintafel aus dem British Museum in London sehen wir den am Kreuz gestorbenen Christus, der dennoch die Augen geöffnet hat, weil er – so die Konvention der damaligen Bildsprache – den Tod bereits überwunden hat. In der Folge werden die Bilder immer komplexer und mit weiteren Bilddetails angereichert.
Andreas Mertin
Von Ulrich Zwingli, Johannes Calvin und Karl Barth geschult wirft Andreas Mertin einen reformierten Blick auf die Kunst von ihrem Anfang in steinzeitlichen Höhlen bis zur Gegenwart. Der Medienpädagoge und Ausstellungskurator nimmt das Bilderverbot als Kultbilderverbot ernst. Das zweite Gebot sei jedoch kein Kunstverbot.