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Reminiscere: Markus 12, 1-12 - Der Stein, den die Bauleute verworfen haben
von Johannes Calvin
Markus 12, 1-12
1 Und wer fing an , zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und führte einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und gab ihn an Weingärtnern in Pacht und zog außer Landes. 2 Und er sandte einen Knecht, da die Zeit kam, zu den Weingärtnern, daß er von den Weingärtnern nähme von den Früchten des Weinbergs. 3 Sie nahmen ihn aber und schlugen ihn und ließen ihn leer von sich. 4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem zerschlugen sie den Kopf und schmähten ihn. 5 Abermals sandte er einen andern Knecht, den töteten sie. Und viele andere; etliche schlugen sie, etliche töteten sie. 6 Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er zuletzt auch zu ihnen und sprach: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7 Aber die Weingärtner sprachen untereinander: Das ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben. 10 Habt ihr nicht gesehen in der Schrift (Ps. 118, 22.23): „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Von dem Herrn ist das geschehen, und ist ein Wunder vor unsern Augen“? 12 Und sie trachteten danach, wie sie ihn griffen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er auf sie dieses Gleichnis geredet hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
Matth. 21, 33. „Hört ein anderes Gleichnis.“ Lukas weicht den Worten nach etwas ab, wenn er sagt, Christus habe zu dem Volk gesprochen, während bei Matthäus die Rede an die Priester und Schriftgelehrten gerichtet ist. Das ergibt sich leicht daraus, daß Christus, obwohl er eigentlich sie angriff, doch vor dem gesamten Volk ihre Schande ans Licht zog. Wenn Markus sagt, Christus habe angefangen, in Gleichnissen zu reden, läßt er damit das in der Reihenfolge erste aus; er greift ja auch an andern Stellen aus einer ganzen Sammlung oft nur einen Teil heraus. Dieses Gleichnis will im Grunde nichts anderes sagen, als daß es gar nichts Neues sei, daß die Priester und die andern Obersten in der Gemeinde schmählich versuchten, Gott um sein Recht zu betrügen. Denn mit ähnlichen Ränken sei man früher schon gegen die Propheten vorgegangen, und nun schicke man sich an, sogar den Sohn zu töten, was aber nicht ungestraft bleiben werde, da Gott als der Anwalt seines Rechtes auftreten werde. Die Aussage des Gleichnisses ist eine doppelte: Christus will den Priestern ihren Undank vorhalten, der randvoll ist von Treulosigkeit und Verbrechen; daneben will er den Anstoß aufheben, der sich aus seinem nahen Tod ergab. Die Priester hatten es mit ihrem angemaßten Ansehen bei dem unerfahrenen, einfältigen Volk so weit gebracht, daß die ganze Religion bei den Juden von ihrem Beschluß und ihrem Wink abhing. Darum gibt Christus den Schwachen eine Stütze an die Hand und zeigt ihnen, daß niemand irre zu werden brauche, wenn er persönlich genauso ermordet werde, wie es die Priester einst mit den Propheten, einem nach dem andern, gemacht hätten. Aber nun wollen wir bereits den Einzelheiten nachgehen.
„Der pflanzte einen Weinberg.“ Dieses Gleichnisbild begegnet uns oft in der Schrift. Was jedoch die vorliegende Stelle betrifft, deutet Christus nur an, daß Gott den Hirten, die er über seine Gemeinde setzt, keineswegs auch seine Macht überträgt, sondern damit genauso handelt wie ein Familienvater, der seinen Weinberg oder Acker einem Pächter überläßt, damit er ihn zuverlässig bebaue und ihm jedes Jahr den Ertrag abliefere. Wie sich der Herr jedoch bei Jesaja und Jeremia beklagt (vgl. Jes. 5, 4; Jer. 2, 21), daß er aus dem Weinberg, auf dessen Bebauung er so viel Mühe und Kosten gewandt habe, keine Frucht gezogen hat, so klagt er an dieser Stelle die Weingärtner selbst an, daß sie den Ertrag des Weinberges wie Räuber gewaltsam an sich reißen. Wenn Christus sagt, die Bauern hätten den Weinberg, gepflegt und wohl ausgestattet, vom Hausvater übernommen, so unterstreicht er damit ihre Schuld ungemein. Denn je großzügiger an ihnen gehandelt worden ist, desto abscheulicher ist ihre Undankbarkeit. Dieses Argument benutzt auch Paulus, um die Hirten zu ermahnen, ihren Auftrag zuverlässig auszuführen: sie seien Haushalter, dazu erwählt, Gottes Haus zu verwalten, das eine Säule und Grundfeste der Wahrheit ist (vgl. l.Tim. 3, 15). Und das ist richtig: Je glänzender und ehrenvoller die Stellung der Hirten ist, desto mehr sind sie Gott verpflichtet, bei ihrer Arbeit fleißig zu sein. Um so mehr ist also auch ihre Treulosigkeit zu verabscheuen, weil sie mit dieser Großzügigkeit von Gottes Seite und der Ehre, deren Gott sie würdigte, Schindluder trieben. Gott hatte übrigens den Weinberg angelegt, als er sich an die gnädige Annahme des Volkes an Kindes Statt erinnerte, es aus Ägypten befreite, es sich von neuem zum Eigentum aussonderte, sich ihm als sein Gott und Vater kundgab und es zur Hoffnung auf das ewige Heil rief. Das ist die Pflanzung, die z. B. Jes. 60, 21 erwähnt wird. Mit „Kelter“ und „Turm“ sind all die Mittel gemeint, die der Lehre des Gesetzes beigefügt worden waren, um den Glauben des Volkes zu stärken, wie die Opfer und andere Zeremonien. Denn wie ein umsichtiger, eifriger Familienvater hatte der Herr es an nichts fehlen lassen, um seine Gemeinde auf alle mögliche Weise zu unterstützen.
„Und gab ihn an Weingärtner in Pacht.“ Gott könnte zwar auch ohne den Dienst von Menschen seine Gemeinde in gutem Zustand erhalten; aber er nimmt sich nun einmal Menschen zu seinen Dienern und benutzt ihre Arbeit. So hatte er einst die Priester eingesetzt, gewissermaßen Bebauer seines Weinberges zu sein. Merkwürdig ist jedoch, daß Christus die Propheten mit den „Knechten“ (21, 34) vergleicht, die nach der Weinlese geschickt werden, um den Ertrag einzufordern. Denn wir wissen doch, daß auch sie Weingärtner waren und daß ihnen zusammen mit den Priestern ein gemeinsames Amt aufgetragen war. Christus hatte jedoch nicht nötig, hier genau und bis ins einzelne darauf einzugehen, was nun gleich und was verschieden an diesen beiden Ständen war. Sicherlich waren die Priester anfänglich dazu bestimmt gewesen, die Gemeinde durch die heilsame Verkündigung gut auszubilden. Als sie jedoch das ihnen übertragene Amt durch Trägheit und Unwissenheit vernachlässigten, wurden ihnen gewissermaßen als außerordentliche Unterstützung die Propheten nachgesandt, um die Weinstöcke von Unkraut zu reinigen, überflüssige Triebe wegzuschneiden und im übrigen die Versäumnisse der Priester wiedergutzumachen. Dabei sollten sie jedoch auch das Volk ernstlich zur Rede stellen, die zerrüttete Frömmigkeit wieder erneuern, die trägen Geister aufrütteln und Verehrung Gottes und ein neues Leben bewirken. Das bedeutete aber nichts anderes, als den Gott gebührenden Ertrag aus seinem Weinberg einzufordern. Diesen Sachverhalt wendet Christus nun sehr passend auf seine Lehre an: Denn die Leitung der Gemeinde lag nicht ständig und fest bei den Propheten, sondern sie wurde immer von den Priestern beansprucht, so wie ein fauler Pächter sein Land zwar vernachlässigt, aber trotzdem den Platz, auf den er einmal gesetzt wurde, hartnäckig behauptet, als gehöre er ihm.
Matth. 21, 35. „Einen schlugen sie ...“ Hier unterscheiden sich Markus und Lukas ein wenig von Matthäus. Denn während Matthäus mehrere Knechte erwähnt, denen dann, nachdem sie alle übel und unwürdig behandelt worden waren, noch mehr nachgesandt wurden, stellen es die beiden andern Evangelisten so dar, als seien die Knechte einzeln ausgeschickt worden, also nicht zu zweien oder dreien gleichzeitig, sondern einer nach dem andern. Dabei haben alle drei Evangelisten den gleichen Gedanken, daß die Juden nämlich gegen den Sohn dasselbe wagen würden, was sie mit den Propheten mehr als einmal getan hatten. Trotzdem gibt Matthäus den Verlauf der Geschichte deutlicher wieder: Gott kämpfte förmlich mit der Bosheit der Priester, als er die Propheten in Scharen zu ihnen sandte. Daraus wird klar, wie unbezwingbar ihr Wüten war, daß es durch kein Mittel eingedämmt werden konnte.
Matth. 21, 37. „Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.“ Von einer solchen Überlegung kann man bei Gott eigentlich nicht reden: denn er weiß ja, was in der Zukunft liegt, und läßt sich nicht durch die Hoffnung auf einen besseren Ausgang täuschen. Aber besonders in den Gleichnissen ist es üblich, menschliche Eigenschaften auf Gott zu übertragen. Der Satz steht hier nicht von ungefähr. Christus wollte uns wie in einem Spiegel zeigen, wie bejammernswert die Priester in ihrer Gottlosigkeit waren, die sie jetzt nicht mehr verbergen konnten, daß sie sich gegen den Sohn Gottes, der gekommen war, sie zur Besinnung zu bringen, in teuflischer Wut erhoben. Schon durch den grausamen Mord an den Propheten hatten sie Gott aus seinem Erbe zu treiben versucht. Das setzt nun all ihren Verbrechen die Krone auf, daß sie den Sohn töteten, um in dem gewissermaßen verwaisten Haus selbst die Herren zu spielen. Denn sicherlich war der Grund dafür, daß die Priester den Christus so sehr haßten, der, daß sie ihre Tyrannei wie eine Beute an sich gerissen hatten. Denn er selbst ist es ja, durch den Gott Vater gegenwärtig sein will und dem er jegliche Herrschaft übertragen hat. Audi am Schluß weichen die Evangelisten etwas voneinander ab. Matthäus berichtet (21, 41) von dem den Juden abgerungenen Bekenntnis, in dem sie sich selbst verurteilten. Nach Markus (12, 9) verkündet einfach Christus selbst, welche Strafe auf solch böse, treulose Knechte warte. Lukas (20, 16) unterscheidet sich dem Äußeren nach noch mehr, indem er sagt, die Strafe, die Christus ihnen angekündigt habe, sei von ihnen abgewiesen worden. Wenn wir aber den Sinn genauer überdenken, liegt kein Widerspruch vor, weil die Hörer zweifellos Christus darin zustimmen mußten, welche Strafe solche Knechte verdient hätten. Da sie jedoch merkten, daß sich sowohl die Anklage wie das Urteil gegen sie richtete, suchten sie sich zu entziehen.
Matth. 21, 42. „Habt ihr nie gelesen ...“ Es ist festzuhalten, was wir schon ein wenig früher gesagt haben: Die Priester und Schriftgelehrten hatten das Volk an sich gebunden und betrachteten es untereinander als einen unumstoßbaren Grundsatz, daß sie allein über die zukünftige Erlösung zu befinden und zu urteilen hätten, so daß niemand als Messias anzuerkennen sei, den sie nicht durch ihre Billigung als solchen erwiesen hätten. Darum behaupten sie, es sei unmöglich, was Christus gesagt habe, daß der Sohn Gottes und Erbe des Weinberges von ihnen selbst getötet werde. Genau das beweist ihnen Christus nun aus dem Zeugnis der Schrift. Dabei hat seine Frage großen Nachdruck. Er hätte auch sagen können: Ihr haltet es also für einen unsinnigen Gedanken, daß sich die Weingärtner so frevelhaft gegen den Sohn Gottes verschwören könnten. Aber hat die Schrift etwa vorausgesagt, er werde mit freudiger Zustimmung und Beifall empfangen werden, und nicht im Gegenteil, daß die Anführer des Volkes selbst seine Gegner sein werden? Und nun ist die Stelle (Ps. 118, 22), die Christus dabei anführt, aus dem gleichen Psalm entnommen, aus dem auch der Jubelruf stammt: „Herr hilf ... Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!" (Ps. 118, 25.26). Daß dieser Psalm eine Weissagung über die Herrschaft des Messias ist, geht daraus hervor, daß David ja mit der Abmachung von Gott zum König gemacht wurde, daß sein Thron in Ewigkeit bestehen solle, solange am Himmel Sonne und Mond leuchten und bis durch Gottes Gnade das zusammengebrochene Reich wiederhergestellt würde. Obwohl also der Psalm eine Beschreibung der Herrschaft Davids enthält, ist die Verheißung ihrer Fortdauer damit verbunden, auf die sich die Wiederaufrichtung gründet. Wäre hier von irgendeinem zeitlichen Reich die Rede, könnte es Christus nicht auf sich beziehen. Wir müssen aber immer bedenken, was für eine Herrschaft Gott in der Person Davids aufrichtete: eine solche, die in dem wahrhaften Messias Bestand hätte bis ans Ende der Welt. Die Salbung Davids damals deutete schon auf Christus. Darum ist alles, was an David geschah, ein Vorspiel und ein Vorbild auf Christus. Kehren wir nun zu den Worten des Psalms zurück. Die Schriftgelehrten und Priester hielten es für unglaubhaft, daß der Christus von den Vorstehern der Gemeinde verworfen würde. Christus beweist aber aus dem Psalm, daß er gegen den Willen der Menschen durch Gottes wunderbare Macht auf seinen Thron gesetzt werden müsse; und zwar sei das einst schon bei David vorwegnehmend geschehen, den Gott annahm, obwohl er von den Vornehmen zurückgestellt wurde, damit Gott ein Beispiel und Zeichen dafür gebe, was er einmal noch an seinem Christus tun würde. Der Prophet wählt zur Veranschaulichung das Bild eines Gebäudes. Da die Gemeinde Gottes ein Tempel ist, wird Christus, auf den sie ja gegründet ist, mit Recht der Eckstein genannt, ein Stein also, der die ganze Last des Gebäudes trägt. Man könnte dieses Bild nicht in allen Einzelzügen auf Christus ausziehen; aber darin ist es besonders zutreffend, daß das Heil der Gemeinde auf ihm ruht und er selbst ihre Existenz aufrechterhält. Darum haben auch andere Propheten dieses Bild benutzt, besonders Jesaja und Daniel. Jesaja (28, 16) bezieht sich sogar ganz eng auf diese Stelle, wenn Gott bei ihm sagt: „Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen köstlichen, auserwählten Stein, an dem sich stoßen werden beide Häuser Israel." Auch im Neuen Testament taucht diese Redeweise immer wieder auf (z.B. l.Kor. 3, 11; l.Petr. 2, 4f.). Der Hauptgedanke ist also: Gottes Reich soll auf einen Stein gegründet werden, den sogar die Architekten für unbrauchbar halten. Und das heißt: Der Messias, der das Fundament für das Heil der Gemeinde ist, wird nicht durch die Hochrufe der Leute auf den Schild gehoben werden, sondern wenn Gott ihn durch seine verborgene, ungeahnte Macht wunderbar ans Licht treten läßt, werden die Obersten, also die, denen die Sorge für das Gebäude anvertraut ist, ihm feindlich gegenübertreten. Zwei Dinge sind hier wichtig für uns: Erstens hat Gott uns, damit uns die gottlosen Anschläge der Menschen, die die Herrschaft Christi verhindern wollen, nicht erschrecken, bereits zuvor darauf hingewiesen, daß es so kommen werde. Und zweitens hat er zugleich damit bezeugt, daß seine Macht siegreich bleiben wird, wenn er das Reich Christi aufrichtet, was auch Menschen dagegen unternehmen werden. Beides müssen wir uns einprägen. Es ist kaum glaublich, daß der Bringer des Heils verworfen wird, und zwar nicht von Außenstehenden, sondern von den Hausgenossen selbst, und nicht vom unwissenden Volk, sondern von seinen Anführern, die die Leitung der Gemeinde haben. Gegen solches unsinnige Wüten der Menschen muß der Glaube gefestigt werden, damit er nicht ins Wanken gerät, weil er die Sache nicht durchschaut. Wir verstehen jetzt, wie gut diese Vorankündigung ist, weil nun die frommen Leute vor dem Schrecken bewahrt bleiben, der sie sonst bei dieser traurigen Erfahrung ankäme. Denn es gibt einfach nichts Widersinnigeres, als daß sich die Glieder gegen das Haupt, die Pächter gegen ihren Herrn, die Ratgeber gegen ihren König erheben und die Architekten dem Gebäude seinen Grundstein entziehen. Noch mehr Nachdruck liegt auf der zweiten Aussage des Satzes, wo Gott erklärt, daß die Gottlosen mit der Verwerfung Christi nichts erreichen werden, daß seine Würde dadurch nicht im geringsten angetastet werde. Wenn sich die Gläubigen auf diese Zusage stützen, können sie wirklich besseren Wissens über den dummen Hochmut der Verächter Christi lachen. Denn sollten diese auch alles in Bewegung setzen, Christus wird doch, ihnen zum Trotz, den Platz behalten, den der Vater für ihn bestimmt hat. Mögen alle, die sich etwas auf Ehren und Auszeichnungen zugute tun, noch so heftig gegen ihn toben, sie können ihn damit nicht aus seiner Stellung drängen, und all ihr gelehrter Hochmut kann ihm nichts schaden. Schließlich wird Gottes Macht doch die Oberhand behalten, so daß er der erwählte, köstliche Eckstein ist, der die Gemeinde Gottes, sein Reich und seinen Tempel trägt. Und wenn es heißt, er sei zum „Eckstein“ geworden, so bedeutet das nicht, daß er nur ein Teil von dem Fundament des Hauses ist; denn es geht ja aus anderen Stellen hervor, daß auf ihm allein die Gemeinde fest gegründet ist. Der Prophet wollte nur ausdrücken, daß er die Hauptstütze des Gebäudes sein werde. Einige Leute erwägen bei dem Wort „Eckstein“ tiefsinnig, Christus werde darum als Eckpunkt gesetzt, weil er zwei verschiedene Mauern, nämlich die Heiden und die Juden, miteinander verbinde. Meiner Ansicht nach wollte David nur feststellen, daß ein Eckstein die Hauptlast eines Gebäudes trägt. Nun stellt sich aber die Frage, wie der Geist von Bauleuten sprechen kann bei Menschen, die nur auf den Untergang und Verderb des Tempels Gottes aus sind. Denn Paulus z. B. rühmt sich darum, ein guter Baumeister gewesen zu sein (vgl. 1. Kor. 3, 11), weil er die Gemeinde allein auf Christus gegründet habe. Die Antwort darauf ist leid«: Obwohl sie das ihnen übertragene Amt treulos verwalten, steht ihnen doch mit Rücksicht auf ihre Berufung dieser Titel zu. So wird der Prophetenname oft Betrügern beigelegt, und manche werden Hirten genannt, die die Herde verschlingen wie Wölfe. Allerdings ist das nicht gerade ein Ruhmesblatt für sie, sondern sie sprechen sich bereits selbst das Urteil, wenn sie den Tempel Gottes von Grund auf zerstören, zu dessen Aufbau sie bestimmt waren. Wir werden hier also wieder einmal daran erinnert, daß eine rechtmäßige Berufung noch nicht daran zu hindern braucht, daß ein Diener Christi sich als sein entschiedener Feind entpuppt. Natürlich war das rechtmäßige Priestertum von Gott verordnet worden, und der Herr selbst hatte den Leviten die Vollmacht übertragen, die Gemeinde zu leiten. Aber haben sie deshalb ihren Auftrag auch treulich ausgeführt, oder mußten die Gläubigen nicht vielmehr Christus verneinen, wenn sie ihnen gehorchen wollten? Mag sich doch der Papst mit all seinen bemützten Bischöfen zum Teufel scheren! Wie kann man sich nur rühmen, man dürfe zu ihnen allen Vertrauen haben, nur weil sie den Platz von Hirten einnehmen! Damit wir sie als zur Leitung der Gemeinde ordentlich Berufene anerkennen, nehmen sie sich - unnützerweise zwar — mehr heraus, als es die Stellung eines hohen Geistlichen erlaubt. Und dabei genügt ihnen nicht einmal, daß sie das Recht der Berufung für sich haben; um eine solche Zwangsherrschaft zu beginnen, mußten sie schon die gesamte Ordnung der Gemeinde aus den Fugen heben. So kann man sie wirklich nur noch dem Namen nach als Architekten ansehen, wenn sie das heilige Haus Gottes zerstören, um eine ordentliche Gerichtsbarkeit unter dem Anschein des Rechts in ihre Hände zu spielen. Allerdings muß es nicht immer so gehen, daß alle, denen die Leitung der Gemeinde übertragen ist, Christus verwerfen. Auch unter dem Gesetz gab es viele fromme Priester, und unter der Herrschaft Christi haben sich auch schon einige Hirten eifrig und treu um den Aufbau der Gemeinde bemüht. Aber trotzdem muß man unter ihnen wohl unterscheiden, da es sich erfüllen muß, daß die Bauleute den Stein verwerfen. Der Heilige Geist hat uns damit ausdrücklich gewarnt, daß wir uns ja nicht durch einen leeren Titel oder eine würdevolle Berufung verführen lassen.
„Von dem Herrn ist das geschehen.“ Da der gewöhnliche Menschenverstand nie begreifen könnte, daß die Hirten der Gemeinde selbst ihren Herrn, Gottes Sohn, verschmähen, erinnert uns der Prophet an den verborgenen Ratschluß Gottes, den wir anerkennen und bewundern müssen, auch wenn unsere Sinne ihn nicht fassen. Wir sollen also lernen, daß hier eine Antwort auf jegliches Fragen abgeschnitten und ausdrücklich verboten wird, damit wir die Art des Reiches Christi nicht mit unserem fleischlichen Verstand einschätzen und beurteilen. Denn was wäre das für eine Torheit, das Wunder, zu dessen Anbetung der Prophet uns aufruft, unserer beschränkten Einsicht zu unterwerfen und dem Reich Christi nur das zuzugestehen, was uns als wahrscheinlich vorkommt! Und dabei bezeugt der Heilige Geist, daß der Anfang dieses Reiches ein tiefster Anbetung würdiges Geheimnis ist; denn es ist für Menschenaugen unsichtbar. Immer wenn also von der Entstehung der Gemeinde, ihrer Wiederherstellung, ihrer Existenz und überhaupt vom Heil die Rede ist, dürfen wir nicht unsern Verstand um Rat fragen, sondern wir sollen der Macht Gottes die Ehre geben, damit wir sein verborgenes Wirken bewundern. Ohne daß es ausgesprochen wird, werden hier Gott und Mensch gegenübergestellt: Wir werden nicht nur aufgefordert, die wunderbare Lenkung der Gemeinde anzuerkennen, weil sie Gottes Werk ist, sondern wir werden zugleich auch gewarnt vor törichter Menschenverehrung, die Gottes Ehre oft in den Schatten stellt. Der Prophet hätte auch sagen können: Wie sehr auch die Menschen mit hochtrabenden Titeln prunken mögen, die ganze Sache gerät auf die schiefe Bahn, wenn sie gegen Gott gedreht wird. Damit wird auch die teuflische Gottlosigkeit zurückgeschlagen, die die zeitliche Umgrenzung der sogenannten Gemeinde ohne Zögern über Gottes Wort stellt. Bei diesen Leuten hängt nämlich die Vollmacht des Wortes Gottes von der Zustimmung der Menschen ab, so daß Gott an Recht nur bleibt, was er auf Bitten hin von der Kirche empfängt. Der Geist lehrt uns an dieser Stelle etwas völlig anderes: In dem Augenblick, in dem die Majestät Gottes in die Mitte tritt, muß die ganze Welt schweigen.
Matth. 21, 43. „Darum sage ich euch.“ Bisher hat Christus seine Worte an die Führer und Leiter gerichtet, wenn auch in Gegenwart des Volkes. Nun geht er das Volk selbst in gleicher Weise an; denn es stand mit den Priestern und Schriftgelehrten im Bunde, wenn es galt, die Gnade Gottes zu verhindern. Bei den Priestern hatte zwar das Unglück seinen Anfang genommen; aber das Volk hatte es mit seinen Sünden schon verdient, daß es so verderbte, abgewichene Hirten hatte. Das ganze Volk war sozusagen von einer bösen Lust infiziert, Gott Widerstand zu leisten. Aus diesem Grund kündigt Christus allen ohne Unterschied die grauenvolle Strafe Gottes an. Denn waren die Priester auf ihre Vorrangstellung stolz, so hatte sich das übrige Volk unter dem Vorwand seiner Erwählung dem Hochmut ergeben. Nun erklärt Christus, daß Gott ihnen gegenüber zu nichts verpflichtet sei und daß er darum die Ehre, deren sie sich unwürdig erwiesen hatten, auf andere übertragen werde. Das wurde nun zwar den Leuten damals einmal gesagt; um unsertwillen aber wurde es aufgeschrieben, damit wir nicht über die Stränge schlagen in leerem, falschem Vertrauen auf das Fleisch, wenn Gott uns zu seinem Volk erwählt hat, sondern damit wir uns nun von unserer Seite aus bemühen, uns als die Kinder zu erweisen, die er sich wünscht. Denn wenn er schon die natürlichen Zweige nicht verschont hat, was wird er erst mit den eingepfropften tun (vgl. Röm. 11, 21)? Die Juden glaubten, sie hätten das Reich Gottes in Erbpacht sicher, und darum verharrten sie so sorglos bei ihren Sünden. Wir sind plötzlich und widernatürlich an ihre Stelle gerückt; um so weniger werden wir das Reich Gottes fest für uns haben, wenn es sich nicht auf eine Wurzel wahrer Frömmigkeit stützen kann. Wie uns aber ein Schrecken ankommen muß bei der Drohung Christi, daß das Reich Gottes denen, die es verschmäht haben, wieder entrissen werden wird, so kann es alle Frommen doch auch wieder trösten, was hier über die Beständigkeit des Reiches Gottes gesagt wird. Denn Christus zeigt doch mit seinen Worten, daß, wie sehr die Gottlosen den Gottesdienst auch mit Füßen treten mögen, es dabei doch nie so weit kommen wird, daß Christi Name dabei verlischt oder die wahre Gottesverehrung untergeht. Denn Gott, in dessen Hand alle Enden der Erde sind, wird schon anderswo Sitz und Heimstätte für seine Herrschaft finden. Wir müssen aus dieser Stelle auch noch lernen, daß das Evangelium nicht dazu gepredigt wird, daß es uns unfruchtbar und träge mache, sondern daß es Frucht erzeuge.
Matth. 21, 44. „Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen.“ Christus bestätigt seinen vorangegangenen Ausspruch noch deutlicher: er sagt, ihm selbst werde es auch nicht im geringsten schaden, wenn er von den Gottlosen verworfen wird; denn möge ihr Trotz auch so hart wie Stein oder Eisen sein, seine Härte wird sie zerbrechen, und ihr Untergang wird ihn nur noch mehr leuchten lassen. Er erkannte die unbegreifliche Verstocktheit der Juden und mußte ihnen darum die Art ihrer Strafe ernst vor Augen führen, damit sie sich nicht in Sicherheit wiegten. Diese Worte ermahnen uns auf der einen Seite, uns nachgiebig und willig der Leitung Christi zu überlassen, und auf der andern Seite festigen sie uns auch gegen den Eigensinn und die wilden Überfälle der Gottlosen, da auf sie ein schreckliches Ende wartet. Von Fallen auf Christus wird bei denen gesprochen, die ihn zu unterdrücken suchen, nicht weil sie höher steigen als er, sondern weil sie ihr Wahnwitz so weit fortreißt, daß sie es gewissermaßen von oben herab unternehmen, Christus anzugreifen. Er lehrt sie jedoch, daß sie dabei nicht mehr erreichen, als daß sie selbst bei dem Zusammenstoß zerschmettert werden. Mit dem Stein, über den sie sich stolz erhoben, wird es ihnen wider Erwarten gehen: er, gegen den sie so verwegen losgestürmt waren, wird sie unter sich zermalmen.
Matth. 21, 45. „Sie verstanden, daß er von ihnen redete.“ Die Evangelisten zeigen uns, wie wenig Christus mit seinen Worten erreicht hat. Wir brauchen uns darum nicht zu wundern, wenn heute die Verkündigung des Evangeliums nicht alle zum Gehorsam gegen Gott bringt. Wir sollen auch erkennen, daß alle Drohungen die Raserei der Gottlosen nur noch mehr entflammen. Denn wie Gott sein Wort unseren Herzen versiegelt, so wirkt es doch auch wie ein Brenneisen und verwundet die bösen Gewissen, und die Gottlosigkeit schlägt noch höhere Flammen. Darum müssen wir ihn bitten, er möge uns zu freiwilligem Gehorsam bringen, damit uns nicht die nackte Erkenntnis seiner Rache noch mehr verbittere. Daraus, daß die Anführer nur aus Furcht vor dem Volk davon abgehalten werden, Hand an Christus zu legen, sehen wir, daß Gott ihnen einen Zügel angelegt hatte. Ein süßer Trost erwächst daraus für die Gläubigen, wenn sie hören, daß Gott sie mit seinem Schutz deckt, so daß sie den Klauen des Todes immer wieder entrinnen.
Aus: Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Die Evangelienharmonie 2. Teil, Neukirchener Verlag 1974, S. 193ff.