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Wut und Zärtlichkeit - Predigt zu Psalm 62 am Anfang der Friedensdekade
von Martin Warnecke, Bremen
Predigt über Psalm 62,2-13a
zum Beginn der Ökumenischen FriedensDekade unter dem Motto „Gier Macht Krieg“, Bremen, 6.11.2011
Psalm 62,2-13a:
Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.
Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.
Wie lange stellt ihr alle einem nach, wollt alle ihn morden,
als wäre er eine hangende Wand und eine rissige Mauer?
Sie denken nur, wie sie ihn stürzen, haben Gefallen am Lügen; mit dem Munde
segnen sie, aber im Herzen fluchen sie.
Aber sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine Hoffnung.
Er ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz,
dass ich nicht fallen werde.
Bei Gott ist mein Heil und meine Ehre, der Fels meiner Stärke,
meine Zuversicht ist bei Gott.
Hoffet auf ihn allezeit, liebe Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus;
Gott ist unsre Zuversicht.
Aber Menschen sind ja nichts, große Leute täuschen auch;
sie wiegen weniger als nichts, soviel ihrer sind.
Verlasst euch nicht auf Gewalt und setzt auf Raub nicht eitle Hoffnung;
fällt euch Reichtum zu, so hängt euer Herz nicht daran.
Eines hat Gott geredet, ein Zweifaches habe ich gehört:
Gott allein ist mächtig, und du, Herr, bist gnädig.
Wut und Zärtlichkeit
Liebe Gemeinde,
einen bewegenden Abend erlebte ich kürzlich in der Glocke. Konstantin Wecker sang von Zärtlichkeit und Wut. Er sang nicht nur davon, sondern er weckte in uns Zuhörern ähnliche Gefühle und Gedanken. Er sang davon, wie die Mächtigen das Leben so vieler Menschen mit ihrer Gier zerstören. Wie sie Kriege führen, wie sie ihre Macht missbrauchen, und wie sie uns einreden, dass eine Welt voll von Kriegen und Gewalt normal sei. Angesichts einer Welt, in der die 500 reichsten Menschen der Welt über die Hälfte des Besitzes der ganzen Menschheit verfügen und gleichzeitig jeden Tag 50.000 Kinder verhungern, in der Milliarden für Waffen und Krieg ausgegeben werden, sang er: „Empört euch, beschwert euch und wehrt euch; es ist nie zu spät, … und liebt euch und widersteht.“
Ja, von der Liebe sang er auch. Es waren zu Herzen gehende, zärtliche Lieder. In einem heißt es: „Zwischen Zärtlichkeit und Wut fasse ich zum Leben Mut.“
Mit seinen Liedern regte er zum eigenen Nachdenken an, und auch dazu, die eigenen Gefühle dabei zu spüren. Es war wie ein intensives Gespräch.
Ein intensives Gespräch führt auch der Psalmbeter. Er spricht mit Gott. Er betet im Gottesdienst für sich und stellvertretend für die anderen. Diese beten in Gedanken oder leise mit und legen ihre Gedanken und Gefühle mit in seine Worte.
Der Psalmbeter sagt Gott, was ihn wütend macht. Er spricht über Mächtige, die lügen und täuschen, die mit Gewalt und Raub anderen Menschen schaden.
Und während er Gott alles sagt, was ihn bewegt, seinen Ärger, seinen Zorn, wird er selbst ganz ruhig. „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.“ Mit Seele meint er seine Lebendigkeit, wie er fühlt und denkt, alles, was in ihm vorgeht. Er kommt mit seinem ganzen Körper zur Ruhe. Er lässt alles zu, was in ihm ist, auch seine Schwachheit. Und gleichzeitig weiß er sich verbunden mit Gott. „Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.“
Der Psalmbeter vertraut auf Gott. Gott ist für ihn wie ein Fels, der fest in der Brandung steht. Die Wassermassen werden dagegen geworfen, die Gischt spritzt hoch, doch der Felsen steht fest.
Gott hilft ihm. Diese Erfahrung hat er in seinem Leben gemacht. Auch wenn er mit seinem Zorn zu Gott gekommen war, war er innerlich zur Ruhe gekommen und hatte Energie gespürt, um das zu tun, was gerade dran war. Voller Hoffnung, dass es anders werden wird, war er aktiv geworden. Er hatte gemerkt, dass seine Wut in Ordnung ist, dass da auch noch andere sind, die wie er fühlen und denken.
„Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.“ Er wird festgehalten. Gottes hält ihn zärtlich fest, damit er nicht fällt. Wie ein Vater, wie eine Mutter, hält Gott ihn fest, auch als Erwachsenen. Es ist in Ordnung, Wut zu spüren. Voller Vertrauen spricht er seine wütenden Gedanken aus. Und er ermutigt damit andere, seinem Beispiel zu folgen.
Vor kurzem veröffentlichte die Verbraucherorganisation „Foodwatch“, einen Bericht mit dem Titel „Die Hungermacher“. Darin beschuldigen sie die Investment-Banken und deren verantwortliche Mitarbeiter, dass sie Mitschuld daran haben, dass in den armen Ländern der Welt Menschen Hunger leiden und am Hunger sterben. Sie spekulieren mit Nahrungsmitteln und treiben damit die Preise für diese in die Höhe. Um die Preise hochzuhalten, wird die Hälfte der produzierten Lebensmittel auf den Müll geworfen. Im Süden leidet eine Milliarde Menschen Hunger. Alle drei Sekunden verhungert ein Kind, während auf der anderen Seite des Globus Zuckerrüben, Weizen, Raps und nun sogar Brot durch den Auspuff gejagt werden. Bei einem vernünftigen Umgang mit den Ressourcen dieser Erde müsste kein Mensch hungern, frieren, im Straßendreck leben, vor der Zeit sterben. Gott sei es geklagt.
Gier Macht Krieg, so lautet das Motto der diesjährigen Friedensdekade. Gier meint die Haltung, dass man nie genug bekommt, dass man immer noch mehr haben will, dass man ständig daran denkt, wie man seinen Besitz noch mehr vergrößert. Gier Macht Krieg. Macht wird gefährlich, wenn sie mit Gier verbunden ist. Es gibt auch eine fürsorgliche Macht, die sich bemüht, dass es allen, und zwar besonders den Schwächsten, gut geht. Gierige Macht geht über Leichen. „Verlasst euch nicht auf Gewalt und setzt auf Raub nicht eitle Hoffnung.“
Doch genau das, was der Psalmbeter vor Gott beklagt, genau das geschieht. Es ist mal wieder Krieg. Auch unser Land ist an dem Krieg in Afghanistan beteiligt. Seit zehn Jahren führt die Bundeswehr Krieg am Hindukusch – ohne Zustimmung der Bevölkerung. Gier Macht Krieg. Wie in jedem Krieg geht es auch hier in erster Linie um wirtschaftliche und politische Interessen. Die Bundeswehr kämpft für den Zugriff auf Rohstoffe, für sichere Abtransportwege und ähnliche Dinge. Und die Waffen für diesen und für kommende Kriege werden auch in unserem Land produziert, auch hier in Bremen. Unsere Volkswirtschaft profitiert von dem Krieg und der Gewalt. Mit Produkten, die in Bremen gefertigt werden, werden Menschen umgebracht. Gier Macht Krieg.
Doch von Krieg spricht offiziell niemand. Der Krieg und die Gier werden verschleiert. „Sie haben Gefallen am Lügen“, sagt der Psalmbeter. Statt von Krieg sprechen sie von einer Friedensmission, einer humanitären Mission oder einfach von Verantwortung. Sie lassen angeblich töten für so edle Dinge wie Demokratie, Menschenrechte und den Weltfrieden. „Verlasst euch nicht auf Gewalt und setzt auf Raub nicht eitle Hoffnung.“
Der Psalmbeter spricht deutliche Worte. Vielleicht helfen seine klaren Worte auch, zu innerer Ruhe zu kommen. Unruhig werde ich, wenn ich merke, dass eine Aussage nicht zu einem Verhalten passt. Der Psalmbeter hilft mit seiner Klarheit auch den anderen Gottesdienstteilnehmern. Er sagt Gott alles, was ihm in der Seele wehtut. Und er ermutigt auch die anderen dazu: „Hoffet auf ihn allezeit, liebe Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus; Gott ist unsere Zuversicht.“
Heute hören wir seine Worte, und wir haben seine Worte gemeinsam gesprochen. Heute lassen wir uns von ihm anregen, unser Herz vor Gott auszuschütten. Manche Menschen tun dies ganz für sich allein, oder zusammen mit vertrauten Menschen. Sie lassen alles zu, was in ihnen ist an Wut und Zärtlichkeit. Sie finden Worte für ihre Gefühle und Gedanken. Oder sie leihen sich die Worte des Psalmbeters. Wenn ich Worte finde für das, was mich bewegt, dann bin ich aktiv, dann teile ich meine Wut und meine Zärtlichkeit mit anderen, auch mit Gott. Dann verändert sich etwas in mir. Vielleicht spreche ich dann mit den Worten des Psalmbeters: „Bei Gott ist mein Heil und meine Ehre, der Fels meiner Stärke, meine Zuversicht ist bei Gott.“
Der Psalmbeter fühlt sich bei Gott geborgen. Seine Seele kommt zur Ruhe. Er ist zuversichtlich. Wer zuversichtlich ist, vertraut darauf, dass Gott ihn hört und liebevoll anschaut. Er ist tief in seinem Inneren davon überzeugt, dass es Veränderungen zum Guten geben wird.
Zuversichtliche Menschen trotzen der Angst und der Resignation. Sie sehen mehr als nur das Vorhandene. Sie lassen sich nicht ausreden, dass sich Menschen und Dinge zum Guten verändern.
Wer zuversichtlich ist, dem merkt man das an. Kennen Sie ein Gesicht, das Zuversicht ausstrahlt. Wenn Sie sich selbst im Spiegel anschauen, nehmen sie dann Spuren von Zuversicht wahr? Zuversichtliche Menschen sind gespannt auf das, was kommt. Sie sehen mehr als nur das, was vor Augen ist. Sie sehen Gottes Hand, wie er sie liebevoll und zärtlich über die Erde hält, wie ein Vater, wie eine Mutter.
Oft erlebt man solche Zuversicht bei Kindern und eine kleine Weile vor und nach der Geburt auch bei ihren Müttern. Diese Zuversicht habe ich auch bei Dir, liebe C., wahrgenommen, als Du mit Deinem Sohn bei mir warst, und ihn zärtlich auf dem Arm hieltest, so, wie Du ihn auch vorhin bei der Taufe gehalten hast. Es wird gut werden, auch durch alle Schwierigkeiten hindurch. Gott behütet Euch beide und wird Euch auf einem guten Weg gehen lassen.
„Bei Gott ist mein Heil und meine Ehre, der Fels meiner Stärke, meine Zuversicht ist bei Gott. Hoffet auf ihn allezeit, liebe Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus; Gott ist unsere Zuversicht.“ Wer darauf vertraut, wird innerlich frei, macht sich unabhängig von Reichtum, Ansehen und Macht.
Voller Zuversicht, innerlich frei und gleichzeitig verbunden, bekommen solche Menschen Energie zum Handeln. Manche sprechen mit anderen darüber, und auch mit Gott. Manchmal planen sie eine gemeinsame Aktion. So haben zahlreiche Organisationen sich zusammen getan und eine Kampagne gegen Waffenhandel ins Leben gerufen. Sie nennen ihre Kampagne „Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel!“ Sie wollen durch eine Klarstellung im Grundgesetz ein allgemeines Verbot deutscher Rüstungsexporte erreichen. Bis zur Bundestagswahl 2013 sollen die Parteien diese Forderung in ihre Wahlprogramme aufgenommen haben. Dafür führen sie unter anderem Informationsveranstaltungen durch, halten Mahnwachen vor Rüstungsfirmen, führen den Dialog mit Bundestagsabgeordneten und sammeln Unterschriften.
Andere Menschen engagieren sich in der Bewegung gegen die Macht der Banken oder gegen den Krieg in Afghanistan. Und manche Menschen beten dafür, dass alle Anstrengungen für eine Welt des Friedens eines Tages Erfolg haben werden.
Voller Zuversicht falten sie die Hände und sagen Gott alles, was sie bewegt, sprechen auch von ihrer Wut und ihrer Zärtlichkeit. Und während sie beten, nehmen sie Gottes Antwort wahr:
„Eines hat Gott geredet, ein Zweifaches habe ich gehört:
Gott allein ist mächtig,
und du, Herr, bist gnädig.“
Darin liegt unsere Zuversicht begründet. Gott ist beides: Mächtig und gnädig. Amen
Pastor Martin Warnecke – Evangelische Andreas-Gemeinde in Bremen, pastor.warnecke@kirche-bremen.de
Foto: André Pawlik, „Rheinischer Winter 10“, CC-Lizenz (BY 2.0), www.piqs.de
6. November 2011