Wortlaut der Rede zum Johannisempfang des EKD-Ratsvorsitzenden, Präses Nikolaus Schneider
Ausgehend von dem biblischen Zitat „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ aus dem 2. Korintherbrief 3,17 entfaltete Schneider Freiheit als grundlegendes Thema der christlichen Theologie- und Kirchengeschichte. Die Evangelische Kirche in Deutschland, so Schneider, verstehe sich noch heute als „Kirche der Freiheit“, die sich „in der Bindung an die Heilige Schrift dem gegenwärtigen Wirken des Geistes Gottes“ anvertraue. Der Ratsvorsitzende erinnerte an Martin Luther, der von der „Gefährdung der Freiheit“ durch das „In-sich-selbst-gekrümmt-sein“ gewusst habe. Doch der Mensch könne Befreiung erfahren durch „Gottes Handeln in Jesus Christus“, indem der Mensch Gott glaube und diesem Handeln Gottes vertraue.
Die Bindung an Gottes lebendiges Wort Jesus Christus bewahre Menschen vor „zerstörerischen Selbstzweifeln“. In dieser Bindung, so Schneider weiter, könnten Menschen sich aus „Selbstüberschätzung und Selbstbezogenheit“ befreien und ihr „menschliches Maß“ annehmen. Der Ratsvorsitzende führte aus, dass es schon Martin Luther darum gegangen sei, dass „Christenmenschen vor Gott ihre Höllen-Angst verlieren“ und dass sie „Glaubensstärke“ und ihre „Glaubensfreiheit“ entdecken und so ihre Verantwortung vor Gott, für die Welt und für die Mitmenschen wahrnehmen, denn „Freiheit von irdischen Bindungen und Freiheit als Dienst“ gehörten untrennbar zusammen. Deshalb verkündige und bezeuge eine „Kirche der Freiheit“ „keine rein jenseitige, vertröstende Freiheit, sondern vielmehr eine Freiheit, die privat und öffentlich verantwortet werden will.“
Diese grundlegenden evangelischen Freiheitsmomente legte Schneider in Bezug auf drei aktuelle politische Großthemen aus. Er betonte, dass in einem „mehr und mehr multireligiös“ werdenden Deutschland Religionsfreiheit für „Menschen aller Religionen“ gelte, allerdings gemäß der Normierung“ des Grundgesetzes. Natürlich führe dieses „gleichberechtige Miteinander verschiedener Religionen“ in einer Gesellschaft zu „ungewohnten Herausforderungen, manchen Mühen und auch Verdruss“. In diesem Zusammenhang sehe er, Schneider, mit Sorge, dass „aus Verunsicherung oder aus einer formalistisch gedeuteten Gerechtigkeit eine einfache und schnelle Lösung darin gesucht wird, alle Religionen unsichtbar zu machen. Weil keine Religion bevorzugt werden soll, werden alle öffentlichen Religionsäußerungen abgelehnt.“ Dann aber, so Schneider weiter, werde eine Gesellschaft ärmer, wenn sie nämlich aus diesen Gründen „den Beginn und das Ende des Schuljahres, einer Legislaturperiode oder einer Fußballweltmeisterschaft nicht mehr mit einem Gottesdienst feiern will.“ Es diene aber der „Lebenskraft einer Gesellschaft“, wenn zum Beispiel „dem Entsetzen und der Fassungslosigkeit“ nach großen Katastrophen „Gebet und Gottesdienst eine Form und eine Sprache bieten“. Und es habe sich gezeigt, dass dieses „nicht nur konfessionsübergreifend, sondern auch gemeinsam mit Geistlichen anderer Religionen“ möglich sei.
Desweiteren würdigte der Ratsvorsitzende die gegenwärtig geplante „Energiewende“. Sie sei trotz aller kontroversen Diskussionen ein „grundlegender Schritt in die richtige Richtung“. Das Signal eines solchen Konsenses gehe „weit über die Energiefrage hinaus“ und wecke Hoffnungen, dass es gelingen könne, ein „neues qualitatives Wachstumsmodell zu entwickeln, das nachhaltiges Wirtschaften fördert und den Lebensraum zur Gestaltung der Freiheit für künftige Generationen nicht zerstört.“
Schneider wandte sich schließlich unmissverständlich gegen alle, die „das Friedensprojekt Europa dem wirtschaftlichen Egoismus und einer aufkommenden Kleinstaaterei“ opfern wollen. Die aktuelle Eurokrise bestätige die Forderungen des Rates der EKD, die dieser bereits 2009 in seinem Text „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ erhoben hatte. Noch immer, so der Präses, seien die „Fragen der Regulierung und der Aufsicht über die globalen Finanzmärkte „weitgehend ungelöst.“ Die Euro-Krise um Griechenland habe verschiedene Ursachen, doch wesentlich sei, so Schneider, dass die ungeregelten Finanzmärkte die Krise treiben. „Wer 18 Prozent Zins und mehr für Anleihen verlangt, hat der nicht schon längst die Grundsätze eines ehrbaren Kaufmanns hinter sich gelassen? Die Regulierung der Finanzmärkte geschehe auch „zur Gewährleistung von Freiheit“, so der Ratsvorsitzende weiter. Das Verleihen von Geld dürfe nicht zum Verlust freiheitlichen Lebens für die Schuldner führen. Deshalb müssten Vermeidung von Neuverschuldung und Schuldenabbau ein vorrangiges Ziel staatlichen Handelns zur Sicherung des sozialen Zusammenhalts und des Friedens sein.
Abschließend resümierte Nikolaus Schneider, dass „Freiheit in Verantwortung“ immer ein Wagnis sei. Es gelte, nicht nur von Freiheit zu träumen, sondern sie zu leben – „mit und in aller Zweideutigkeit und mit der Gefahr, Fehler zu machen“. Der Ratsvorsitzende schloss mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer: „Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen.“
Hannover/Berlin, 30. Juni 2011
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick
Wortlaut der Rede zum Johannisempfang des EKD-Ratsvorsitzenden, Präses Nikolaus Schneider