"Ehrliche Trauer nimmt die Toten beider Seiten in den Blick. Sie sind Täter und Opfer zugleich. Zur Trauer über die Toten gehört auch der Zorn auf die Herren des Krieges. Sie lassen die Soldaten zum Töten ausbilden und schicken sie in den Krieg. 53 deutsche Soldaten haben dabei bisher (November 2011) in Afghanistan ihr Leben verloren, und eine ganze Reihe anderer Soldaten haben sich selbst dort das Leben genommen. Und wir alle zahlen für diesen Wahnsinn, der in unserem Namen geschieht. Jede Woche, die die Bundeswehr in Afghanistan verbleibt, kostet uns Steuerzahler 20 Millionen Euro, während für Krankenhäuser und Schulen immer weniger Geld ausgegeben wird."
Predigt über Mt 5, 1-12 BigS
Lesungen: Ps 85; Mi 4, 1-5
Lieder: 295, 1-4; 427, 1-5; 430, 1-4; 281, 3
Liebe Gemeinde,
manchmal bitten wir Konfirmanden, sich vorzustellen, dass ihnen jemand den Befehl gibt, andere Menschen zu töten. Dann fragen wir sie, was sie darüber denken, was sie dabei fühlen und wie es ihnen danach ginge.
Einer sagte: „Das will ich gar nicht. Was soll ich jetzt nur tun? Ich habe Angst und ich fühle mich schlecht. Hinterher wäre ich traurig und ich hätte ein schlechtes Gewissen.“
Eine andere sagte: „Ich würde es nicht tun. Und kein Mensch kann mir befehlen, jemanden zu töten. Ich spüre Wut auf den Menschen, der mir das befehlen will. Wenn ich jemanden getötet hätte, wäre ich traurig, verzweifelt und wütend auf mich.“
Noch eine andere sagte: „Ich kann das nicht machen. Ich werde weg laufen. Leute, die Befehle geben, andere Menschen zu töten, sind selber sehr brutal und töten selber auch. Diese Leute machen mir Angst. Wenn ich dem Befehl gefolgt wäre, würde ich mich total schlecht fühlen und würde total traurig sein. Ich würde immer den Gedanken an den Tod mit mir tragen. Ich würde immer daran denken, dass ich schuld bin, dass andere Leute trauern. Ich würde nie mehr fröhlich leben können.“
Fröhlich leben diese Jugendlichen jetzt. Sicher sind sie nicht immer fröhlich, sondern manchmal auch zornig, traurig oder haben Angst. Doch die Freude gehört zu ihrem Leben.
Um Freude geht es auch Jesus in seiner Rede auf dem Berg. Er spricht von Menschen, die voller Freude sind, oder anders gesagt, die selig sind, die selig leben. Selig ist ein altes Wort, das heute nicht mehr so oft benutzt wird. Selig meint so etwas wie glücklich, zufrieden, hochgestimmt und begeistert. Wer selig ist, strahlt vor Freude und Glück. Und in unserem Sprachgebrauch bedeutet selig auch verstorben, tot.
Doch Jesus spricht in seiner Rede auf dem Berg von den Lebenden. Diese nennt er selig. Er spricht von Menschen, die es gut meinen mit anderen, die mitfühlen, die mit sanftem Mut die Welt verändern, und die für den Frieden arbeiten.
Und er spricht von Menschen, die es schwer haben: die Armen, die Menschen, denen das Recht auf ein Leben in Würde und Glück verweigert wird, und die Trauernden.
Trauer empfinden heute viele Menschen in unserem Land über die Toten des 2. und des 1. Weltkriegs. Sie denken dabei an Menschen aus ihrer Familie. Vielleicht schauen sie sich alte Fotos an, auf denen ein Soldat zu sehen ist. Vielleicht erzählen sie sich Geschichten von dem toten Soldaten. Vielleicht weinen sie dabei. Und vielleicht spüren sie auch den Schmerz darüber, dass diese Soldaten für verbrecherische Ziele ihr eigenes Leben verloren haben und das Leben anderer Menschen zerstört haben. Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“
Welcher Trost tröstet wirklich? Manche glaubten darin Trost zu finden, dass sie die toten Soldaten zu Helden erklärten. Unzählige Kriegerdenkmale und Inschriften in Kirchen legen bis heute davon Zeugnis ab. „Zur Erinnerung an große Zeit“ steht auf manchem Kriegerdenkmal. Ist das wirklich ein Trost? Ist es nicht vielmehr eine Lüge, die die Trauer verdrängt?
Und heute führt unser Land schon wieder Krieg. Deutsche Soldaten kämpfen in Afghanistan angeblich für Demokratie und den Weltfrieden. Was für eine Lüge. In Wirklichkeit töten sie und zerstören sie in erster Linie für den Zugriff auf Rohstoffe und die Kontrolle über Transportwege. Schon der griechische Philosoph Platon, der 400 Jahre vor Christus lebte, sagte: „Alle Kriege entstehen um den Besitz von Geld und Gut.“ So ist es bis heute geblieben. Gier Macht Krieg.
Öffentliche Auftritte der Bundeswehr und öffentliche Rituale, wie Zapfenstreiche, Gelöbnisse und sogar ein Fernsehgottesdienste sollen möglichst viele Menschen dazu bringen, sich mit den Soldaten, und ihrem tödlichen Handwerk, verbunden zu fühlen. Wir sollen glauben, dass sie „für uns“ Krieg führen.
Manches erinnert mich in fataler Weise an die ideologischen Mechanismen aus der Zeit des 2. Weltkriegs. Kürzlich wurde ich zu einer Tagung eingeladen mit dem Titel „Es gibt wieder Kriegsblinde – Unser Umgang mit Opfern des Krieges in Afghanistan“. „Wieder“ – damit wird die Verbindung hergestellt zu den Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert. In der Einladung wird gefragt: „Wer kümmert sich um Soldaten, die aus einem Auslandseinsatz heimkehren? Wie wird körperlich versehrten oder traumatisierten Soldaten geholfen?“
Diese Soldaten werden als Opfer dargestellt. Dabei ist keiner dieser Soldaten gegen seinen Willen in den Krieg gezogen. Sie sind alle freiwillig dort, und gut bezahlt. Das ist heute anders als damals.
Und die Opfer dieser Soldaten, also die Menschen, die sie und ihre sogenannten Kameraden umgebracht oder schwer verletzt haben, sind überhaupt nicht im Blick. Das sind ja Feinde. Um sie wird nicht getrauert.
Ehrliche Trauer nimmt die Toten beider Seiten in den Blick. Sie sind Täter und Opfer zugleich. Zur Trauer über die Toten gehört auch der Zorn auf die Herren des Krieges. Sie lassen die Soldaten zum Töten ausbilden und schicken sie in den Krieg. 53 deutsche Soldaten haben dabei bisher in Afghanistan ihr Leben verloren, und eine ganze Reihe anderer Soldaten haben sich selbst dort das Leben genommen. Und wir alle zahlen für diesen Wahnsinn, der in unserem Namen geschieht. Jede Woche, die die Bundeswehr in Afghanistan verbleibt, kostet uns Steuerzahler 20 Millionen Euro, während für Krankenhäuser und Schulen immer weniger Geld ausgegeben wird.
Soldaten zerstören oft das Leben anderer, auch Zivilisten, und ihr eigenes Leben. Wie lange wird das noch weiter gehen? Wie lange werden Menschen noch auf die Lügen hereinfallen, mit denen sie in den Krieg gelockt werden? Wann werden Menschen damit beginnen, den Krieg endlich abzuschaffen?
„Selig sind die, die für den Frieden arbeiten, denn sie werden Töchter und Söhne Gottes heißen.“ In einfachen und klaren Worten zeigt Jesus einen Weg auf, um den Krieg abzuschaffen. Selig oder glücklich werden die Menschen dabei sein. Oder ist alles nur ein schöner Traum?
Was wäre wenn? Was wäre, wenn die Menschen massenhaft Nein sagten zum Krieg? 1931 dachte Kurt Tucholsky darüber nach und schrieb: „Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen. Man hat ja noch niemals alle Schulen und Kirchen, alle Kinos und alle Zeitungen für die Propaganda des Krieges gesperrt. Man weiß also gar nicht, wie eine Generation aussähe, die in der Luft eines gesunden und kampfesfreudigen, aber Krieg ablehnenden Pazifismus aufgewachsen ist. Das weiß man nicht!“
Was wäre, wenn ganz viele Menschen den Worten Jesu vertrauen würden? Ein Anfang wäre es schon, wenn die Bundeswehr nicht mehr in Schulen, in Arbeitsämtern, auf Messen, auf Volksfesten und auf Kirchentagen auftreten dürfte, wenn sie nicht mehr junge Menschen für ihr tödliches Handwerk werben dürfte. Ohne Soldaten gibt es keinen Krieg.
Jeder halbwegs gesunde Mensch hat eine innere Hemmschwelle, die ihn daran hindert, andere zu töten. Der amerikanische Psychologe und ehemalige Offizier David Grossman berichtete, dass den Soldaten heute systematisch die Hemmschwelle zum Töten abtrainiert wird. Er sagte: „Wir sind extrem gut darin geworden, Menschen zum reflexhaften Töten zu erziehen und kaltblütige Killer zu schaffen.“
„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.“ Die Sanftmütigen sind mutig. Sie haben einen sanften Mut, einen Mut, der ohne Gewalt auskommt. Sanftmütige wissen sich innerlich frei von der Macht. Sie wissen, dass sie wertvolle, von Gott geliebte Menschen sind, einfach, weil Gott sie liebt. Sie begegnen anderen mit Verständnis und Wertschätzung.
Mich ermutigt das, was Konfirmanden in unserer Gemeinde dazu gesagt haben: „Jemand, der sanftmütig ist, schlägt nicht, tritt nicht, ist hilfsbereit und freundlich. Er ist gegen Gewalt. Er ist wütend, wenn sich Leute prügeln.“ – „Er verzeiht einem gleich viele Sachen, die man böse gemeint hat. Er sieht alles gelassen. Er fühlt sich wahrscheinlich gut und zufrieden. Meine Freundin aus der Schule ist so.“ – „So ein Mensch kann sich gut in andere hinein versetzen und fühlt mit anderen.“ – „Er fühlt sich gut, weil er kein schlechtes Gewissen hat wegen Verbrechen, die er verübt hätte, wäre er nicht sanftmütig gewesen.“ – „Er oder sie verhält sich einfühlsam.“ – „Sanftmütige trösten andere.“ – „Er hat eine frohe Lebenseinstellung.“ – „Er versucht, Konflikte friedlich zu lösen. Und er denkt, man kann alles ohne Gewalt lösen.“
Die Konfirmanden verbinden die Zusage Jesu einfach mit ihrem Lebensalltag. Menschen mit sanftem Mut sind glücklich. Sie strengen sich dafür nicht an, sondern sie lassen einfach ihre ganz natürlichen inneren Kräfte wirken. Sie haben auch Erbarmen.
„Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren.“ Barmherzige Menschen sind einfühlsam und bergend. Sie haben ein Herz für die anderen. Sie stellen Erbarmen vor das Recht. Sie wissen, dass sie selbst aus dem Erbarmen Gottes leben, und so manches Mal auf das Erbarmen anderer Menschen angewiesen sind. Sie vergelten Böses nicht mit Bösem, sondern überwinden das Böse mit Gutem, so wie es Paulus in unserer diesjährigen Jahreslosung rät. Und sie sind mit sich selbst barmherzig. Sie vergeben sich auch selbst und schauen auch sich selbst liebevoll an. Sie sind dankbar für alle Liebe und alles Erbarmen, das sie erfahren.
„Selig sind die, die für den Frieden arbeiten, denn sie werden Töchter und Söhne Gottes heißen.“ Sie vertrauen auf den Gott des Friedens, zu dem sie gehören. Sie vertrauen darauf, dass der Gott des Friedens in dieser Welt wirkt. Sie sehen in ihrem Leben und im Leben vieler anderer Menschen den Gott des Friedens am Werke. Sie nehmen wahr, wie Menschen im Kleinen und im Großen daran arbeiten, den Krieg eines Tages abzuschaffen. Sie sehen Menschen, die mit ihren ganz eigenen Möglichkeiten für eine Welt des Friedens arbeiten. Und sie lassen sich davon ermutigen, selbst für den Frieden zu arbeiten.
Eltern setzen sich an der Schule ihrer Kinder gegen die Werbung der Bundeswehr ein. Sie wollen nicht, dass ihre Tochter oder ihr Sohn das Töten lernt oder zu Kanonenfutter wird. Andere engagieren sich dafür, dass der Staat mehr Geld für den zivilen Friedensdienst zur Verfügung stellt. Alte Menschen erzählen ihren Enkeln vom Grauen des Krieges und bewahren sie vielleicht davor, Soldat zu werden. Andere schreiben Leserbriefe gegen den Krieg, informieren über die Lügen der Generäle und Politiker. Und manche falten die Hände und beten gegen den Krieg und für den Frieden.
„Frieden fängt klein an.“ Dieses Motto lockte auch im September wieder zahlreiche Bremer Schulen ins Rathaus. Der Verein „Friedenstunnel – Bremen setzt ein Zeichen“ hatte Schüler der Klassenstufen 9 bis 13 zum vierten Mal eingeladen, sich aktiv und selbstbewusst mit einer friedvollen Gestaltung des Lebens und dieser Welt auseinander zu setzen. Fetzige Musikstücke begeisterten das Publikum ebenso wie sensibel zusammengestellte und unter die Haut gehende Filme über Krieg und Zerstörung – denen der einfache Satz gegenüberstand: „Wir können das besser!“
Ein kurzes Theaterstück über eine Wohngemeinschaft, in der Menschen verschiedener Religionen lebten, zeigte eindrucksvoll, wie unterschiedlich sich der Alltag in den verschiedenen Religionsgemeinschaften gestaltet – alleine bei den Mahlzeiten. Eine andere Klasse brachte den Vorschlag, ein Haus der Religionen zu bauen, wo es allerdings auch einen Boxraum geben würde. Hier könnten dann Streitereien sofort persönlich ausgetragen werden, und man würde auf diese Weise schnell feststellen: Außer, dass einer am Boden liegt, ist nichts gewonnen! Friedens-Postkarten, die rund um die Welt geschickt werden wie auch große Text-Collagen rundeten das Programm ab. „Selig sind die, die für den Frieden arbeiten, denn sie werden Töchter und Söhne Gottes heißen.“ Töchter und Söhne Gottes, geliebt, gewollt und mit Gott verbunden für immer.
„Selig sind die, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott sehen.“ Das Herz ist nach biblischem Verständnis der Ort, an dem Denken und Fühlen sich verbinden. Dann empfinden wir innere Klarheit. Wir spüren inneren Frieden. Wir sehen unsere Ängste, unsere Mutlosigkeit und unsere Traurigkeit im Licht Gottes. Wir lassen sie los und spüren, dass wir in der Tiefe gehalten werden.
Wir fühlen uns verbunden mit dem Gott des Friedens und mit anderen Menschen. Das ist eine tiefe Erfahrung von Glück. Gott ist da, auch in uns. Danke, du Gott des Friedens. Amen