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''Willig und mit Freuden zum Wohl und Heil der anderen?''
Predigt zum Selbstverständnis der Kirche
Liebe Gemeinde!
Woran denken Sie, wenn Sie an Kirche denken?
An ein Gebäude? An die Kirche, in die Sie sonntags zum Gottesdienst gehen? Die Katharinenkirche? Oder eine andere Kirche: die Kirche, in der Sie getauft oder konfirmiert wurden? Die Kirche, in der Sie getraut wurden?
Oder gehören Sie zu denen, die bei Kirche zuerst an Ihre Gemeinde denken? An die Gemeinde im Gottesdienst? An den Frauenkreis? Den Seniorenkreis? Den Besuchsdienst? Den Kirchenvorstand?
Oder fallen Ihnen bei dem Stichwort Kirche zu allererst Personen ein? Ihre Pfarrerin, Ihr Pfarrer? Bei einer Umfrage, die vor kurzem gemacht wurde, haben viele Evangelische bei dem Stichwort „Kirche“ schnell den Namen Margot Käßmann genannt. Und bei manchen wandern die Gedanken bei dem Stichwort Kirche sofort nach Rom. Sie denken bei dem Stichwort Kirche an den Papst – auch Protestanten.
Es gibt noch weitere Möglichkeiten, woran Menschen bei dem Stichwort Kirche denken. Eine davon ist die, dass man an die „Kirche“ als Organisation denkt. Das ist meistens bei denen der Fall, von denen auch ich Briefe bekomme, in denen es heißt: „Die Kirche sollte keine Pfarrstellen streichen.“ „Die Kirche sollte sich stärker im Protest gegen den Fluglärm engagieren.“ „Die Kirche sollte nicht so freundlich zu den Muslimen sein.“ Um nur mal drei Beispiele aus der letzten Woche zu nennen.
Sie sehen also. Es ist immer nötig, dass wir uns darüber verständigen, wovon wir reden, wenn wir von „Kirche“ reden. Es ist aber eigentlich noch viel mehr nötig, dass wir darüber nachdenken: Was glauben wir eigentlich, wenn wir von „Kirche“ reden? Wir haben vorhin gemeinsam in unserem Glaubensbekenntnis gesprochen: „Ich glaube an die heilige, christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.“
Wir wollen uns dazu heute von einem alten, aber sehr bedeutenden Katechismus anleiten lassen. Der Heidelberger Katechismus wurde vor 450 Jahren veröffentlicht. Er ist neben Luthers Kleinem Katechismus sicher der weltweit wirkungsmächtigste Katechismus. Entstanden ist er im Auftrag des kurpfälzischen Kurfürsten Friedrich III. Der wollte für sein Territorium ein Lehrbuch für den kirchlichen und den schulischen Unterricht.
Die Reformation war in der Mitte des 16. Jahrhunderts fortgeschritten. Sie hatte aber auch innerhalb des Protestantismus unterschiedliche Richtungen hervorgebracht. Da waren auf der einen Seite die Lutheraner – stark geprägt von den Wittenberger Theologen Luther und Melanchthon. Und da waren auf der anderen Seite die Reformierten – stark geprägt von den Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin. Friedrich III. war beeinflusst von der Schweizer Reformation. Ihm lag aber daran, dass der Katechismus auch einen Beitrag zur innerprotestantischen Verständigung liefert. Und zu den wichtigen Fragen gehörte natürlich auch die Frage: Was ist die Kirche? Und vor allem: „Wie wird Kirche gelebt und gestaltet?“
Der Heidelberger Katechismus stellt dazu zwei Fragen und er gibt dazu zwei Antworten.
Die Frage 54 lautet: Was glaubst du von der ´heiligen allgemeinen christlichen Kirche´?
Die Antwort: Ich glaube, dass der Sohn Gottes aus dem ganzen Menschengeschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben durch seinen Geist und Wort in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammelt, schützt und erhält und dass auch ich ein lebendiges Glied dieser Gemeinde bin und ewig bleiben werde.
Frage 55: Was verstehst du unter der ´Gemeinschaft der Heiligen´?
Erstens: Alle Glaubenden haben als Glieder Gemeinschaft an dem Herrn Christus und an allen seinen Schätzen und Gaben. Zweitens: Darum soll auch jeder seine Gaben willig und mit Freuden zum Wohl der anderen gebrauchen.
Sie merken schon: Das ist konzentrierte Sprache. Da hat jedes Wort Gewicht. Gedacht war daran, dass Menschen dies auswendig lernen. Jedes Wort, jede Formulierung wäre es wert, darüber zu meditieren. Das kann hier jetzt nicht geschehen. Drei Gedanken will ich betonen.
I.
Kirche ist von Christus gewollt. Er erwählt und beruft Menschen durch seinen Geist und sein Wort. Und er sorgt dafür, dass es immer Kirche gibt. Christus schützt und erhält seine Kirche.
Kirche wird hier sehr groß gedacht. Zum einen: vom Anbeginn der Welt an. Christus wird ebenfalls von Anbeginn der Welt an gedacht. Nicht erst von der Zeit an, als er Mensch gewesen ist. Gott ist von Anbeginn der Welt an Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und Kirche ist deshalb nicht bloß ein Verein von gleichgesinnten Menschen. Das wäre ja auch eine Möglichkeit, Kirche zu verstehen.
Menschen glauben etwas und gründen dann einen Glaubensverein. Kirche ist in diesem Verständnis auch nicht eine bestimmt Organisation, die sich eine feste Ordnung gegeben hat. Und Kirche wird weder durch die Übereinstimmung aller ihrer Mitglieder erhalten noch wird Kirche dadurch erhalten, dass eine Weitergabe ihrer Tradition über Ämter gesichert wird. Das war damals das Verständnis in der römisch-katholischen Kirche. Und es ist heute auch noch. Die sogenannte apostolische Sukzession sichert den Erhalt der Kirche.
Es ist sicher kein Zufall, dass in der Antwort der Frage nicht von Kirche geredet wird, sondern von „Gemeinde“. Mit anderen Worten: In einem sehr weit gefassten, aber sehr eigentlichen Sinn ist Kirche die Gemeinde der Menschen, die er beruft und erwählt.
Für uns heute gesagt, bedeutet das: Seine Gemeinde, seine Kirche lebt in allen Kirchen und Konfessionen. Davon müssen wir ausgehen. Keine Kirche darf von vornherein sagen: Nur bei uns ist Kirche und nicht bei den anderen! Es gibt ein sehr unterschiedliches Verständnis dessen, was das richtige Verständnis des Glaubens ist. Darum muss man ringen. Denn berufen sind wir zur Einigkeit im Glauben. Entscheidend dabei ist aber, dass man nicht für sich und nur für sich beanspruchen darf, in einer bestimmten organisatorischen Gestalt wahre Kirche zu sein.
Was hier jetzt nicht im Blick ist, das ist die Frage: Wie verhält es sich eigentlich mit Menschen, die anderen Religionen angehören? Hier war für den Heidelberger Katechismus ziemlich klar: Diese sind nicht von Christus berufen. Meines Erachtens gibt es allerdings gute Gründe, hier weiter zu fragen. Können wir ausschließen, dass Christus, der will das allen Menschen geholfen wird, Menschen auch auf eine uns fremde Weise zu berufen und zu sammeln?
Für die eigene Stärkung im Glauben ist allerdings wichtig, dass der Heidelberger Katechismus betont und hervorhebt: Du, der du getauft und damit berufen bist, du gehörst zur Gemeinde. Darauf darfst du dich verlassen. Du gehörst dazu und du wirst es ewig bleiben. Das gilt auch, wenn du dir deines Glaubens nicht gewiss und nicht sicher bist. Das gilt auch, wenn Versagen und Schuld auf dir lastet. Du darfst dir sagen: „Ich bin ein lebendiges Glied der Gemeinde und werde es ewig bleiben.“
II.
Ich komme zum zweiten Gedanken. Was ist die ´Gemeinschaft der Heiligen´?
Ich weiß noch sehr genau, wie ich mir als Konfirmand darüber Gedanken gemacht habe, was das wohl bedeutet. Wenn die Kirche die Gemeinschaft der Heiligen ist und ich dazu gehöre, bin ich dann ein `Heiliger´? So habe ich mich nicht gefühlt. Und außerdem war ich bereits so protestantisch geprägt, dass mir die Verehrung der Heiligen auch verdächtig war. Was also dann?
Der Heidelberger Katechismus ist hier eine wunderbare Hilfe. Hier wird ja zunächst gesagt: „Alle Glieder haben Gemeinschaft an dem Herrn Christus und an allen seinen Schätzen und Gaben.“ Das heißt doch: Die Glieder dieser Gemeinschaft sind heilig nicht durch sich selbst – nicht durch besondere Frömmigkeit, nicht durch gute Werke, nicht durch ein heiliges Leben. Sie sind heilig, weil sie mit dem verbunden sind, der heilig ist. Mit ihm und durch ihn sind wir beschenkte Menschen.
In ihm finden wir Orientierung für unser Leben – in seinen Worten und Werken. In ihm finden wir Erlösung und Vergebung unserer Schuld. Er ist für uns der Zugang zum ewigen Leben. Wir sind Heilige, das heißt geheilte und zum Heil berufene Menschen durch Christus. Das wird uns immer wieder neu zugesprochen – einmalig und fest mit uns unserem Leben verbunden in der Taufe und immer wieder neu in der Feier des Mahles, um uns zu stärken und zu vergewissern auf unserem Weg.
Mit all dem ist ein ganz bestimmter Blick auf unsere Gaben und Begabungen verbunden. Jede und jeder von uns bringt ganz bestimmte Fähigkeiten und Begabungen mit. Da gibt es diejenigen, die unglaublich begabt sind, Dinge zu regeln und zu organisieren. Da gibt es Menschen, die wunderbar musizieren und singen können. Da gibt es Menschen, die mit scharfem Verstand analysieren können. Da gibt es Menschen, die sehr einfühlsam sind und sofort spüren, wenn es anderen nicht gut geht oder irgendetwas nicht gut läuft.
Manche von den Begabungen sind uns in die Wiege gelegt. Andere haben wir durch Mühe und Fleiß entwickelt und ausgeprägt. Wie sehen wir uns dabei selbst? Als stolze Macher und Gestalter unseres Lebens? Sicher eine solche Sichtweise hat auch ihr Recht und ihren Platz. Die Gemeinschaft mit Christus leitet uns dazu an, dies immer wieder zu übersteigen und dabei zu erkennen: Wir sind beschenkte Menschen – mit unserem Leben und mit all unseren Gaben und Begabungen.
III.
Und das führt uns zum letzten Gedanken. Das ist nun auch sehr typisch für das reformierte Denken. Während die Lutheraner dazu neigen, dabei stehen zu bleiben und zu sagen: es ist genug, wenn wir erkennen, dass wir beschenkte Menschen sind, gehen die Reformierten einen Schritt weiter und fragen. Aber bitte: Was folgt denn daraus? Was heißt das für unser Tun? Was heißt das für unser Miteinander?
Die Antwort des Heidelberger Katechismus ist die: „Darum soll auch jeder seine Gaben willig und mit Freuden zum Wohl der anderen gebrauchen.“
Es sind ja nicht wenige unserer Zeitgenossen, die sagen: „Ich brauche keine Kirche. Ich kann meinen Glauben auch alleine leben.“ Das mag ja bis zu einem gewissen Grad auch stimmen. Mit dem Heidelberger Katechismus könnte man antworten: Vielleicht brauchst du nicht die Kirche, aber die Kirche braucht dich und deine Gaben. Kirche lebt davon, dass Menschen ihre Gaben „willig und mit Freuden zum Wohl und Heil der anderen gebrauchen.“
Gewiss, dabei ist daran gedacht, dass Menschen aneinander Halt, Trost und Hilfe finden. In der Zeit, als der Heidelberger Katechismus entstand, war dabei auch an ganz elementare Hilfe in Zeiten großer Not gedacht. Im Erscheinungsjahr 1563 war in Heidelberg der Universitätsbetrieb wegen der grassierenden Pest aus der Stadt hinaus verlegt worden. Der Katechismus selber nennt an anderer Stelle „Regen und Dürre, fruchtbare und unfruchtbare Jahre, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut“ als die Bereiche, in denen es darauf ankommt, dass Menschen Halt aneinander finden und Gaben teilen. Wir erleben es in diesen Tagen der Flutkatastrophe wie wichtig es ist, füreinander da zu sein. Und in aller Not erleben manche die Solidarität und das Miteinander als die beglückendste Erfahrung ihres Lebens.
Menschen sind dazu da, um füreinander da zu sein. Das ist eine Grundwahrheit des Lebens. Und um diese zu leben, erwählt Christus seine Kirche. Es ist damit auch klar, dass damit Kirche nicht um ihrer selbst willen da ist. Kirche ist beschenkte Gemeinschaft. Und was für die einzelnen gilt, gilt auch für sie als Ganze. Sie ist beschenkte Gemeinschaft, um für andere, um für diese Welt da zu sein.
Liebe, von Christus erwählte Gemeinde! Ich habe damit begonnen aufzuzählen, woran wir beim Stichwort Kirche denken. Wenn wir das dem gegenüber stellen, was uns als Zuspruch und Anspruch aus dem Heidelberger Katechismus entgegenkommt, tun wir gut daran mit Inbrunst das ausgewählte Lied zu singen: „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit; brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann.“
Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen
Predigt am 16. Juni 2013 im Rahmen einer Predigtreihe zum Heidelberger Katechismus in der St. Katharinenkirche in Frankfurt am Main.
Volker Jung