Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
Albret, Jeanne d´: Lettres suivies d´une ample Déclaration, ed. Bernard Berdou d´Aas, Biarritz 2007.
Bordenave, Nicolas de: Histoire du Béarn et de la Navarre, Paris 1873.
Bucer, Martin: De regno Christi: libri duo, 1550, ed. François Wendel, in: Robert Stupperich, Hrsg. Ser. 2, Opera latina Bd. 15,1, Gütersloh 1955. In: Studies in Medieval and Reformation Thought, Leiden 1982. „Du royaume de Jesus Christ“, édition critique de la traduction française de 1558/texte établi par François Wendel, Bd.15,2, Gütersloh 1954.
Calvin, Johannes: Calvini opera quae supersunt omnia (= CO), hrsg.v.W.Baum, E.Kunitz, E.Reuss, 59 Bde, Braunschweig/Berlin 1863-1900.
Calvin-Studienausgabe (= CStA), hrsg.v. E.Busch u.a., Neukirchen-Vluyn ab 1994.
Coudy, Julien, ed.: Die Hugenottenkriege in Augenzeugenberichten, Darmstadt 1965
Potter, David, ed.: The French Wars of religion, Selected Documents, London & New York 1997.
Ruble, Alphonse de: Le mariage de Jeanne d´Albret, Paris 1877.
Ruble, Alphonse de: Antoine de Bourbon et Jeanne d´Albret, Paris 1881, 1882, 1885 & 1886, 4 Bde.
Ruble, Alphonse de: Jeanne d´Albret et la guerre civile, Paris 1897.
Ruble, Alphonse de: Mémoires et poésies de Jeanne d´Albret, Paris 1893, Slatkine Reprints Genf 1970 (online auf Französisch: https://archive.org/details/mmoiresetposies00rublgoog).
Stegman, A.: Les édits des guerres de religion, Paris 1979.
Sekundärliteratur:
Aas, Bernard Berdou d´: Jeanne III d´Albret, Chronique 1528-1572, Anglet 2002.
Actes du colloque “Arnaud de Salette et son temps – Le Béarn sous Jeanne d´Albret”, Orthez 1984 (war mir leider nicht zugänglich).
Actes du colloque “L ´Amiral de Coligny et son Temps”, Paris 1974.
Actes du colloque “Jeanne d´Albret et sa cour”, Paris 2004.
Babelon, Pierre: Henri IV, Paris 1982.
Benedict, Philip, ed.: Reformation, Revolt and Civil War in France and the Netherlands 1555-1585, Amsterdam 1999.
Benedict, Philip: “Confessionalization in France? Critical reflections and new evidence”, in: Mentzer & Spicer: Society and Culture in the Huguenot World 1559-1685, Cambridge 2002.
Bryson, David: Queen Jeanne and the Promised Land, Dynasty, Homeland, Religion and Violence in Sixteenth Century France, Leiden 1999.
Buisseret, David: Henry IV, London 1984.
Cazaux, Yves: Jeanne d´Albret, Paris 1973.
Cholakian, Patricia F. & Cholakian, Rouben C.: Marguerite of Navarre, Mother of the Renaissance, New York 2006.
Cocula, Anne-Marie: ”Été 1568. Jeanne d´Albret et ses deux enfants sur le chemin de La Rochelle”, Actes du colloque ”Jeanne d´Albret et sa cour”, Paris 2004.
Desplat, Christian: “Jeanne d´Albret, un modèle d´éducation maternelle?”, in: Actes du colloque ”Jeanne d´Albret et sa cour”, Paris 2004.
Eurich, Amanda: “Le pays de Canaan”: L´évolution du pastorat béarnais sous Jeanne d´Albret”, in: Actes du colloque “Jeanne d´Albret et sa cour”, Paris 2004.
Graeslé, Isabelle: Vie et légendes de Marie Dentière, Bulletin du centre protestant d´études, Genéve 2003.
Greengrass, Mark: “The Calvinist experiment in Béarn”, in: A. Pettegree, A. Duke & G. Lewis: Calvinism in Europe 1540 - 1620, Cambridge 1994.
Kingdon, Robert M.: Geneva and the Consolidation of the French Protestant Movement 1564-1572, Genève 1967.
Knecht, R.J.: Catherine de´ Medicis, London 1998.
Kuperty-Tsur, Nadine: “Jeanne d´Albret ou la persuasion par la passion”, in: Actes du colloque “Jeanne d´Albret et sa cour”, Paris 2004.
Lambin, Rosine: Calvin und die adelige Frauen im französischen Protestantismus, http://www.reformiert-info.de/2304-0-0-20.html
Maag, Karin: “The Huguenot academies: preparing for an uncertain future”, in: Mentzer & Spicer: Society and Culture in the Huguenot World 1559-1685, Cambridge 2002.
Martin-Ulrich, Claudie: “Récit de vie, récit de mort: Le Brief discours sur la mort de la royne de Navarre, Jeanne d´Albret” in: Actes du colloque “Jeanne d´Albret et sa cour”, Paris 2004.
Mentzer, Raymond A. & Spicer, Andrew, eds.: Society and Culture in the Huguenot World 1559-1685, Cambridge 2002.
Nielsen, Merete: Theologie als Erzählung – erzählte Theologie, Das Heptameron von Margarete von Navarra, http://www.reformiert-info.de/side.php?news_id=5444&part_id=0&navi=4
Nielsen, Merete: Marie Dentière,
Das Calvin-Jubiläum 1909
Eine Zäsur der Selbstdefinition der Reformierten in Deutschland. Von Hans-Georg Ulrichs, Karlsruhe
„Der erste Anbruch einer Neuschätzung des reformierten Bekenntnisses und Kirchenwesens“[1]
Das Calvin-Jubiläum 1909 als Zäsur der Selbstdefinition der Reformierten in Deutschland
Hans-Georg Ulrichs, Calvin-Jubiläum 1909.pdf
2.
5. „Die Verbindung mit Genf aufrecht erhalten“ – Nach den Feierlichkeiten im Sommer 1909
6. Resümee
7. „Ob es noch nötig sei“ – Unwissenschaftliche Nachschrift und Prospektive 2009
1. Einleitung
Wenn im Jahr 2009 das „Calvinjahr“ begangen wird, dann lohnt sich auch ein Blick zurück auf frühere Jubiläen. Ist 2009 einerseits bemerkenswert, dass Calvin von der EKD als gesamtprotestantischer Institution zu ihrer „Sache“ gemacht wird, so sind doch andererseits viele Motive und Bemühungen ein Jahrhundert vorher bereits sehr ähnlich – beziehungsweise auch ein Jahrhundert danach haben wir heute noch vergleichbare Aufgaben. Eher unbekannt ist, wie wichtig das Calvin-Jubiläum 1909 für die Konfessionskultur der Reformierten in deutschland geworden ist. Mit den folgenden Ausführungen möchte ich darauf hinweisen. Gelegentlich trifft man bei der Lektüre reformierter Klassiker auf Formulierungen wie die Wilhelm Kolfhaus‘, dass es ein „neue[s] Achten auf das Zeugnis der Reformation und namentlich des Genfer Reformators“ gegeben habe.[2] Einiges spricht dafür, dass dieses „neue Achten“ nicht etwa mit der eher eigentümlichen Calvin-Rezeption Karl Barths begann, sondern mit dem Jubiläum 1909, dem 400. Geburtstag Johannes Calvins. Es geht im Folgenden nicht um einen Beitrag zur Theologiegeschichtsschreibung, nämlich der Calvin-Rezeption, sondern um einen Beitrag zur Geschichte der Selbstdefinition der Reformierten im 20. Jahrhundert. Anders als bei den Lutheraner ist es ja bei den Reformierten nicht so leicht zu bestimmen, wer nun „reformiert“ sei. Wer sich „unter“ das Konkordienbuch stellt, ist eben lutherisch. Aber wer ist reformiert? Eine allseits anerkannte Bekenntnisschrift gibt es nicht. So kann man wohl kaum umhin, eine Maximaldefinition für die Reformierten anzunehmen: Reformiert ist eben, wer sich selbst so bezeichnet. Daher kommen im Folgenden Stimmen aus einem breiten Spektrum zu Wort. Damit kann auch illustriert werden, wie die reformierten Gruppierungen am Ende des Kaiserreiches zueinander standen: Waren sie eher auf Kooperation oder auf Konfrontation aus, wer führte zusammen und wer spaltete?[3] Die zu verifizierende These lautet: Die Reformierten haben sich mit und ab dem Calvin-Jubiläum 1909 wieder verstärkt über Johannes Calvin definiert; reformiert ist, wer sich im besonderen Calvin verpflichtet fühlt, dessen Theologie rezipiert und den Aufbau des Kirchtums nach Genfer Anstössen gestaltet. Deshalb wollen wir zunächst einen Blick auf die Reformierten (und ggfs. ihr Calvin-Bild) um die Jahrhundertwende werfen (Kap. 2), dann die Vorbereitungen zum Calvin-Jubiläum ab etwa 1905 (Kap. 3) und das Jubiläum rund um den 10. Juli 1909 (Kap. 4) schildern sowie die Zeit unmittelbar danach (Kap. 5) und schließlich resümieren, ob und wie sich die Selbstdefinition (und das Calvin-Bild) der Reformierten verändert hat (Kap. 6). Dabei spielen weniger die rein fachwissenschaftlichen Publikationen eine Rolle, sondern vielmehr die die kirchliche Öffentlichkeit bestimmenden kirchlichen Presseorgane und die hinter ihnen stehenden kirchlichen Persönlichkeiten.
2. „[Nicht] zu einer über die Leisten des Genfer Theologen geschlagenen Theologie verpflichtet“ (Petrus Georg Bartels) – Die Reformierten in Deutschland um die Jahrhundertwende
Die meisten Reformierten lebten in Unionskirchen, vor allem im Rheinland und in Westfalen. Freilich gab es dort durchaus – und bis heute – geschlossen reformierte Gebiete. Es ist aber kaum zu übersehen, dass die Unionsbildungen im ersten Jahrhundertviertel letztlich auch bewirkten, das reformierte Bekenntnis weithin vergessen zu machen. So blieben von den zu Beginn des Jahrhunderts existierenden acht akademischen Lehranstalten für die Ausbildung der reformierten Pastoren keine einzige mehr übrig[4]. Einen reformierten Lehrstuhl gab es seinerzeit nur in Erlangen. Die Reformierten in der neuen preußischen Provinz Hannover konnten sich erst 1882 neben Lippe-Detmold als eigenständige Landeskirche konstituieren.[5] Neben dieser geographischen Differenzierung gab es unterschiedliche reformierte Traditionen und ihre meist vereinsrechtlichen Manifestationen: so der 1890 gegründete Hugenottenverein[6] und die niedersächsische Konföderation. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkte sich der Wunsch nach einem gesamtdeutschen Repräsentanten: 1884 wurde dann „Der Reformierte Bund für Deutschland“ – anlässlich eines Zwingli-Gedenkens! – gegründet[7]. Die reformierten Gruppierungen waren demnach sehr jung, zur Jahrhundertwende größtenteils erst 15-20 Jahre alt. Nach eigener Wahrnehmung rang die reformierte Konfession um ihre Existenz; in den öffentlichen, anlässlich der Moderamenssitzungen in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts gehaltenen Vorträgen wurde stets betont, dass das Reformierte weder ausgestorben noch zum Aussterben verurteilt sei.[8] Die entscheidende Rolle, die Existenz reformierter Gemeinden ins kirchliche Bewusstsein und in die kirchliche Öffentlichkeit zu bringen, kam dem Reformierten Bund zu. Als inhaltliches Band wurde vor allem seit dem Jubiläum 1863 der Heidelberger Katechismus behauptet.
Obwohl theologisch durchaus unterschiedlich geprägt, waren die meisten reformierten Gebiete erstaunlich fromm („positiv“): das Siegerland, das Bergische Land, die Grafschaft Bentheim. Anders als etwa in den Niederlanden und in der Schweiz gab es kaum liberale und kritische Theologie. Der historisch-kritischen Theologie dagegen erstanden mit Hermann Friedrich Kohlbrügge, Johannes Wichelhaus, Eduard Böhl und Adolph Zahn erbitterte Feinde im reformierten Lager. Vermutlich ist der Auricher Generalsuperintendent Petrus Georg Bartels, ein Schüler Johann Tobias Becks, durchaus repräsentativ für die deutschen Reformierten: er wird als Vertreter eines vor allem ethisch (und nicht dogmatisch!) orientierten milden Biblizisten angesehen[9]. Ein Calvinist indes ist er nicht gewesen. Von ihm wird der Ausspruch überliefert, dass die Reformierten „weder vor Gott noch vor den Menschen zu einer über die Leisten des Genfer Theologen geschlagenen Theologie verpflichtet“ seien.[10] So kommt es dann auch zu Abgrenzungen; in einem Rundschreiben an die Moderamensmitglieder urteilt Heinrich Calaminus angesichts der niederländischen Denomination der Christlich-Reformierten: „[W]ir haben eine kirchlichere und dogmatisch freiere Richtung.“[11] Es gab jedoch auch einige bewusste Calvinisten, gleichsam „bunte Hunde“ unter den Reformierten: etwa Adolph Zahn, der aus apologetischen und polemischen Gründen eine Sammlung von katholischen und protestantischen Urteilen aus dem 19. Jahrhundert über Calvin und „Studien über Johann Calvin“ herausgab. Offensichtlich fühlte sich Zahn nicht sonderlich im Reformierten Bund aufgehoben, denn er zog sich von dort zurück.
Immerhin erbten die Reformierten des fin de siècle zwei historiographische Großtaten aus dem 19. Jahrhundert: die Reihe „Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformirten Kirche“ (Bde I-IX, 1857-1861) und die Herausgabe der Schriften Calvins und Zwinglis im Rahmen des Corpus Reformatorum. Die Publikation der Werke Calvins wurde 1900 vollendet: im Abschlußband erschien die umfassende Bibliographie aus der Feder Alfred Erichsons (CO 59, S. 517-586)[12]. Zu erinnern ist freilich auch an Emile Doumergues Calvin-Biographie, deren Bände ab 1899 erschienen und an E.F.K. Müllers Symbolik, die von ihm verantworteten BSRK und seine Arbeiten an Calvins Auslegungen der Hl. Schrift.
Besonders interessant sind auf Deskription des common sense ausgerichtete, quasi-kanonisierende Lexikonartikel. Einen solchen aus dem Jahr 1905 finden wir in der RE3 vom Moderator Friedrich Heinrich Brandes. Er beschreibt die Reformierten in Deutschland als eine marginalisierte, in der kirchlichen Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Gruppe, die aber keineswegs gegen die Union oder die Lutheraner gerichtet sei. Was aber die spezifische „Pflege reformierten Bewußtseins“ war, bleibt in diesem Artikel[13] merkwürdig undefiniert. Offensichtlich waren die theologischen Differenzen innerhalb der Reformierten doch so groß, dass Brandes es vorzog, über die gedeihliche Entwicklung des Bundes zu berichten, statt das Reformiert-Sein inhaltlich zu füllen. In der Tat scheinen die Hauptversammlungen stets sehr gut besucht gewesen zu sein; unterhalb des Daches des Bundes fanden die heterogenen Gruppen und Traditionen der Reformierten zusammen, auch ohne dass ein inhaltlicher Konsens geschaffen werden musste; „der Reformierte Bund [hatte] in seiner Frühzeit [...] den Charakter einer Sammlungsbewegung“[14]. Mit der Selbstdefinition „reformiert“ gehörte man zu einer stigmatisierten Konfession, die deshalb schon aus apologetischen Gründen ihre Einheit beweisen musste. Noch auf der Hauptversammlung 1907 in Odenkirchen beschrieb Calaminus die zurückliegenden Jahre mit den Worten „in den Zeiten der Gründung [1884] Spott und bis heute Argwohn“.[15]
3. „Mittel zu schaffen, um Person und Sache Calvins [...] bekannter zu machen“ (August Lang) – Die Vorbereitung des Calvin-Jubiläums in Deutschland ab 1906
Zweifelsohne war der von „nüchterne[r] pietistische[r] Frömmigkeit geprägte“ E.F.K. Müller[16] in Erlangen der seinerzeit führende theologische Kopf der deutschen Reformierten, er hat „den akademischen Part des deutschen Reformiertentums wahrgenommen und ihm gute Reputation verschafft.“[17] Genauso unangefochten war der Moderator Friedrich Heinrich Brandes kirchenpolitisch bestimmend. Aber schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelangte mehr und mehr der Elberfelder Superintendent Heinrich Calaminus an Brandes‘ Stelle; er übernahm dann auch ab 1911 das Moderatorenamt. Aber von größerer Bedeutung war, dass sich ein anderer sowohl wissenschaftlich als auch im Reformierten Bund profilierte: August Lang. Seine Autobiographie „Herr, weise mir Deinen Weg! Erinnerungen eines 75jährigen“[18] harrt der Veröffentlichung. Sie beschreibt nicht nur seinen eigenen Werdegang, sondern ist auch die erste umfassende Darstellung der Geschichte der reformierten Kirche und Theologie von etwa 1880 bis 1933. August Lang (1867 bis 1945)[19] war Domprediger in Halle und daselbst Privatdozent.[20] In zweiter Ehe war er verheiratet mit einer Tochter Calaminus‘, so dass auch engste Familienbande mithalfen, das Calvin-Gedenken auf den Weg zu bringen.[21]
Nach Langs Erinnerungen begann in Deutschland die Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr mit einer Moderamenssitzung am 29. August 1906 in Freudenberg[22], bei der bereits als Veranstaltungsort Barmen, die Veranlassung gemeindlicher Calvinfeiern, die Notwendigkeit einer populären Calvinbiographie und ein noch einzurichtender Calvinfonds „für reformiertes Privatdozentenstipendium“ zur Sprache kamen. Seit 1905 bereiteten sich die Genfer auf das Jubiläum vor. Ebenfalls schon 1905 aber hatte der Stuttgarter Pastor E. Villaret gelegentlich der Hauptversammlung in Herford vorgeschlagen, das Jubiläum auch in Deutschland zu begehen und eine Calvin-Stiftung zu gründen. „[D]ieser Vorschlag fand auch den Beifall des Moderamens, nur war man der Meinung, daß er bis zur nächsten, der 12. Hauptversammlung, die im Jahre 1907 stattzufinden habe, zurück zu stellen sei.“[23] Villaret schrieb dann für die RKZ im Februar 1906 einen längeren Artikel.[24] Aber erst danach auf einer Moderamenssitzung im August 1906 in Freudenberg – so wie von Lang erinnert – und dann mit einem Brief des Präsidenten der „Association du Monument de la Réformation“ in Genf, Prof. Lucien Gautier, an den Moderator Brandes vom 2. Februar 1907[25] machte man sich im Bund Gedanken, dass – da ein eigenes Denkmal nicht sinnvoll sei – in Deutschland das Jubiläum für die konfessionelle Profilierung genutzt werden müsse. So schlug man zusätzlich zur Unterstützung des Genfer Reformationsdenkmal-Projektes eine Calvin-Stiftung „zur Ausbildung von theologischen Dozenten“ vor.[26] Villaret und andere Reformierte fanden aber im Präses des Hugenotten-Vereins Charles Correvon (Frankfurt), der sich für das Genfer Denkmalprojekt engagierte, einen energischen Widerpart.[27] Am 19. April 1907 tagte man in Kassel und etablierte gemäß Correvons Wunsch einen Ausschuss[28], „bei dem ich“ – so Lang – „die treibende Kraft war“. Ihm gehörten nach dem dort beschlossenen Aufruf[29] neben Brandes, E.F.K. Müller und Lang der Berliner Konsistorialrat D. Hermann Dalton, Correvon, der Elberfelder Pfarrer Wilhelm Kolfhaus und der Schatzmeister des Reformierten Bundes Walther A. Siebel (Freudenberg) an. „Dem gewaltigen Zeugen und Verteidiger des Evangeliums, dem vielgepriesenen Ausleger der heiligen Schrift, dem machtvollen Organisator der Theologie und der Kirche verdankt auch die gesamte deutsch-evangelische Christenheit so viel, dass der Gedenktag für sie ein allgemeiner Festtag zu werden verdient.“ Es gelte, „das Andenken des jüngsten unter den vier Heroen der Reformation nach Kräften [zu erneuern].“ Während andere evangelische Kirchen „bereits in lebhafte Vorbereitungen eingetreten“ seien, und in Genf – als der „Grenzstadt an der Pforte der romanisch-katholischen Völker“ – „zwar kein eigentliches Standbild Calvins, aber ein grosses Denkmal der Reformation“[30] geplant sei, hielt man es für wünschenswert, einen Calvin-Fond einzurichten. Denkmal und/oder Stiftung zur Förderung von Studien – diese Frage wurde kontrovers diskutiert, auch mit den Genfern. Letztlich setzte sich Lang durch, der bereits auf der Hauptversammlung in Odenkirchen im September 1907 sagte, dass „der Calvinfonds [...] für uns die Hauptsache, weil ein dringendes Bedürfnis [ist].“[31] Bereits am 3. August 1907 wird dieser Aufruf auszugsweise im Kirchlichen Gesetz- und Verordnungsblatt der Reformierten Landeskirche Hannovers in einer konsistorialen Bekanntmachung wiedergegeben.[32] Wie umstritten beide Unternehmen waren, zeigt, dass Lang noch im September 1908 seinem Schwiegervater nochmals brieflich die Hauptgründe für den Calvinfonds mitteilen musste, damit dieser gerüstet in eine Besprechung gehen konnte: beim Calvinfonds handele es sich darum, „Mittel zu schaffen, um Person und Sache Calvins in Wissenschaft und Kirche bekannter zu machen. Wie wenig ist bisher theologisch für Calvin gethan worden! [...] Noch schlimmer aber steht es mit der populären Verbreitung der Kenntnis Calvins.“[33]
Tatsächlich betrieb August Lang dann bis zum offiziellen Aufruf in der RKZ vom 1. Dezember 1907 Diplomatie, um entscheidende Männer hinter sich zu sammeln. Davon berichtet er zwar nicht in seinen Erinnerungen, dies kann aber belegt werden mit seinem siebenseitigen Brief an den ostfriesischen Fürsten Edzard zu Innhausen und Knyphausen, der nicht nur Vorsitzender der „Gesammtsynode“ der „Evangelisch-reformirten Kirche der Provinz Hannover“ war, sondern auch dem preußischen Herrenhaus vorsaß.[34] Nachdem die 12. Hauptversammlung des reformierten Bundes vom 3. bis 5. September in Odenkirchen am Niederrhein[35] getagt und die Überlegungen zum Calvin-Jubiläum gutgeheißen hatte[36], schrieb Lang am 18. September 1907 einen – selbstredend devoten – Brief an Fürst Edzard: Nachdem Seine Durchlaucht die große Güte gehabt habe, den Aufruf zu unterschreiben, sei „Anfangs des Monats, bei der Tagung des Reformierten Bundes in Odenkirchen, [der Gedanke] zum Beschluß erhoben [worden], Euer Durchlaucht noch um eine weitere wesentliche Förderung des Unternehmens anzugehen. In vollkommener Übereinstimmung mit den übrigen Herren, von denen der immer noch nicht der Öffentlichkeit vorgelegte Aufruf ausgegangen ist, möchte ich Euer Durchlaucht ebenso angelegentlich wie herzlich bitten, das Ehren-Präsidium unseres Komitees anzunehmen [...] wir sind überzeugt, Ihr hochangesehener Name, der in den höchsten und allerhöchsten wie in den breitesten Kreisen einen gleich vortrefflichen Klang besitzt, wird das Unternehmen unvergleichlich fördern, und dem Andenken des teuren Reformators den bedeutsamsten Dienst leisten.“ Mit Edzards Namen an der Spitze würde er „dem Komitee eine nachdrückliche Autorität verleihen, welche seine Aktionsfreiheit erhöhte und vor allem die noch nötigen Verhandlungen mit den Kirchen- und Staats-Behörden ganz wesentlich erleichterte.“ Wie auch im Aufruf bezeichnet es Lang in diesem Brief als eine gesamt-evangelische Dankesschuld, den Genfer Reformator zu ehren, ja, es sei „wohl berechtigt, für 1909 eine der Lutherfeier 1883[37] wenigstens entfernt ähnliche Jubelfeier zu fordern.“ Daher habe man den Aufruf bereits an den „deutsch-evangelischen Kirchenausschuß zur Mitteilung an sämtliche Kirchenregimenter [sic!] sowie dem Minister der geistlichen Angelegenheiten [...] unterbreitet.“ 140 Unterstützerunterschriften seien bereits gesammelt worden, etwa die des Berliner Oberhofpredigers Ernst von Dryander, zahlreicher Generalsuperintendenten und Professoren der Theologie.[38] Einerseits wird immer wieder betont, dass es sich dabei um eine allgemeine evangelische Angelegenheit handele, weshalb auch „die Beziehung zu dem Reformierten Bund [...] dadurch noch ein wenig abgeschwächt werden [soll], daß bei Fabrikant Siebel der Zusatz ‚Schatzmeister des Reformierten Bundes‘ wegfällt“ und Lang sich nicht als Vorstandsmitglied des Reformierten Bundes outet, sondern sich nur als „Geschäftsführer“ des Komitees bezeichnet. So verzichtete man aus kirchenpolitischen Erwägungen auf eine konfessionelle Profilierung in der Öffentlichkeit. Andererseits versucht Lang dem Fürsten die Übernahme dadurch schmackhaft zu machen, dass man nun einmal „Männer gut reformierter Gesinnung und Überzeugung“ brauche. Nicht ungeschickt ist der Hinweis auf den Ehrenpräsidenten des Weltkomitees für das Genfer Denkmalprojekt: „höchsterfreulicherweise der Präsident der Vereinigten Staaten Roosevelt“. Wie im Aufruf erläutert, käme ein deutsches Denkmal nicht in frage, wohl aber erstens die Unterstützung des Genfer Projektes und zweitens die Einrichtung des Calvin-Fonds z.B. zur „1) Prämiierung trefflicher Studien und Arbeiten zur Erforschung wie zur Popularisierung der Gedanken Calvins, 2) Begründung eines Privatdozenten-Stipendiums zur Förderung reformierter Theologie, 3) Unterstützung reformierter Theologie-Studierender oder Kandidaten in unserm hiesigen Konvikt[39] oder im reformierten Kandidaten-Konvikt in Elberfeld u.a.“
Offenbar stimmte der ostfriesische Fürst zu, denn die Druckfahnen des Aufrufes wurden geändert: Edzard wurde als „Ehren-Vorsitzender“, Lang als „Geschäftsführer“ bezeichnet.[40] In der RKZ vom 1. Dezember 1907 wurde der Aufruf endlich veröffentlicht. Mit dem Aufruf wurden die Auseinandersetzungen um Denkmal und/oder Stiftung erledigt, Kritiker des Stiftungsgedanken zeigten sich versöhnt, da im Aufruf die Beteiligung am Genfer Projekt an erster Stelle stand. Auch der Präsident der Genfer Association, der bislang das deutsche Treiben eher nervös beobachtet haben mag, zeigte sich erleichtert.[41] Das selbe muss für Correvon gelten. Tatsächlich ließ aber besonders Lang keinen Zweifel daran, dass trotz „Sympathie und Opferwilligkeit für den Genfer Plan [...] die Förderung einer Calvinstiftung [wichtiger erscheint]“.[42]
Eine weitere beachtenswerte Debatte entstand durch den Mangel einer deutschen Übersetzung der Institutio Calvins. Diese Diskussion wurde von Pastor Wilhelm Rotscheidt (Lehe) mit einem Beitrag für die RKZ anfangs 1907 angestoßen.[43] Er berichtet von seinen Versuchen, einen Verleger zu finden, da er „schon willens [sei], eine solche Übersetzung anzufertigen“. Anzustreben sei eine komplette Übersetzung, kein nochmaliger Auszug, wie es ihn im 19. Jahrhundert gegeben hätte. Um diese Anregung dringlich zu machen, formuliert er sie als einen Antrag an die 12. Hauptversammlung im September 1907 in Odenkirchen. E.F.K. Müller begründet kurz darauf seinen Plan, „die Institutio im Auszug neuübersetzt herauszugeben“.[44] Wilhelm Gustav Goeters, Studieninspektor am reformierten Konvikt in Halle, springt dem Erlanger Lehrer bei, indem er auf die größere Benutzerfreundlichkeit verweist und darauf dringt, dass die Jubiläumsausgabe von dem stammen müsse, der das Calvinsche Bibel-Kommentarwerk so außerordentlich zügig und solide herausgab, E.F.K. Müller. „Hier ist die Bürgschaft für gute meisterhafte Arbeit“. Auch sei in jeden Fall der Verlag, also der Neukirchener, beizubehalten.[45] Schließlich pflichtet auch Wilhelm Kolfhaus dem Müllerschen Plan einer gekürzten Ausgabe bei.[46] Gelegentlich der Odenkirchener Hauptversammlung gibt E.F.K. Müller einen Bericht über die Planungen zu einer gekürzten Neuübersetzung, „die von der Buchhandlung des Erziehungsvereins in Neukirchen werde herausgegeben werden. Schatzmeister Siebel beantragte, es möge der Bund eine Summe bis zu 700 Mark aus der Hauptkasse bewilligen [...] ein Antrag, der denn auch einstimmig angenommen wurde.“[47] Müllers Institutio-Übersetzung wird für Mai 1909 angezeigt, kann aber erst nach den Jubel-Feiern in der zweiten Hälfte des November 1909 ausgeliefert werden.[48]
Die vielleicht nachhaltigste Frucht des Calvin-Jubiläums stellt die ursprünglich zweibändige Edition von Briefen Calvin dar, die Rudolf Schwarz veranstaltete. Während des Jahres 1909 wurden zahlreiche Briefe in der RKZ abgedruckt. Schwarz‘ Briefauswahl, „die längst ersehnte Korrektur zu Kampschultes Werk“[49], war „recht eigentlich die Festüberraschung“, mit der es möglich war, den „großen Unbekannten, der Calvin bislang doch war, ans helle Licht des Tages zu ziehen“.[50] Der Berner Kirchenhistoriker Paul Wernle, der dem Schwarz‘schen Werk ein Geleitwort beigab, stellte fest: „[W]ir haben Calvin überhaupt bisher nicht gekannt“.[51] Wenige Jahre vor dem Calvin-Jubiläum zum 400. Todesjahr wurde das Schwarz‘sche Werk 1961 in drei Bänden im Neukirchener Verlag neu herausgegeben. Otto Weber urteilte im Geleitwort, daß diese Briefauswahl „in jenem Gedenkjahr [1909] zum bei weitem Wertvollsten [gehörte], das überhaupt ans Licht trat.“
Zurück zu den Vorbereitungen des Jubiläumsjahres 1909: Bei einer Moderamenssitzung am 15./16. Juni 1908 in Frankfurt am Main (im christlichen Hospiz Baseler Hof, wo 26 Jahre später Karl Barth den Text der Barmer Theologischen Erklärung redigierte!) wurden die letzten Beschlüsse im Hinblick auf das Jubiläum gemeinsam mit dem deutschen Komitee für das Calvin-Jubiläum gefasst[52]. Überall – so führte Lang gelegentlich der Sitzung aus – entstünden zwecks Unterstützung des Genfer Denkmalprojekts Komitees, außer in Holland, dort sei „wenig Neigung unter Kuyper“. Auch Lang war alles andere als ein begeisterter Anhänger des Denkmalbaus. „[W]ir Deutschen haben dabei das Gefühl, es müsse noch etwas anderes geschehen. Die Calvinstudien sind sehr zurückgeblieben [...] um dieser Aufgabe willen ist der Calvinfonds zu bilden.“ Nun kommt es darauf an, auch die Öffentlichkeit zu interessieren und zu mobilisieren: „Die Ministerien sind um die Anordnung der Schulfeiern zu bitten, auch die Universitäten (theol[ogische] Fakultäten) um Mitfeier anzugehen“; dabei wird eingewandt, dass man aber „lieber die Historiker als die Theologen in vielen Fällen hört.“ „Die Zeitungen sind zu versorgen“. Der Evangelische Bund wird ans Mitmachen erinnert; später veröffentlicht dieser „Flugschriften“.[53]
Leider war Fürst Edzard am 16. Januar 1908 verstorben. Brandes gewann ein halbes Jahr später für diese Aufgabe Fürst Georg zu Schaumburg-Lippe; ihm gab man die Bezeichnung „Protektor“.[54]
Unzählige Aktivitäten belegen die generalstabsmäßige Vorbereitung des Calvin-Jahres 1909: regelmäßige Berichterstattung über das Calvin-Komitee oder über die kommende Feier insgesamt in der RKZ Jahrgang 1908 und dann natürlich im Jahrgang 1909, Rundschreiben an Presbyterien, um Gedenkveranstaltungen in den Gemeinden anzuregen[55], Eingaben an Synoden[56] und an staatliche Behörden, Schulfeiern zu veranstalten[57]. Der Reformierte Bund trug nicht nur dafür Sorge, dass neben der RKZ auch zahlreiche Sonntagsblätter Serien über Calvin und den Calvinismus im Frühjahr und Sommer 1909 (s.u.) brachten, sondern man ließ durch sein Engagement das Jubiläum zu einem „Multimedia“-Ereignis damaliger Zeit werden: neben unzähligen Heftlein mit populären Darstellungen Calvins[58] gab es eine Lichtbildreihe zum Ausleihen[59], eine Kantate[60], ein Kunstbild des Münchner Malers Karl Bauer[61] (das Martin Rade besonders hervorhob[62]), Postkartensammlungen[63], Gedichtsammlungen[64], später 1910 eine Calvin-Münze, die vom Consistorium der französischen Kirche in Berlin geprägt wurde und die ein Bildnis auch von Wilhelm II, „der seinen Schild über die durch eine weibliche Figur mit Kind dargestellte französische Colonie hält“[65], zeigt. All das sollte bewirken, dass die „große[.] Schar derer“ kleiner würde, „die auf Befragen nichts anderes über Calvin zu berichten wissen als daß er den lästernden ‚Servet verbrannt‘ und die ‚grausame Lehre von der Prädestination‘ aufgestellt habe“.[66]
Lang urteilte im Rückblick: „Wie viel Mühe, Briefe, Reisen und Verhandlungen hatte es gekostet, solch einen Aufruf [zum Calvin-Jubiläum 1909] zustande zu bringen! Wie viel Mühe weiter, ihn zu verbreiten, ihn an etwa 400 Zeitungen und Zeitschriften, an die Kirchenregierungen, Konsistorien und theologischen Fakultäten Deutschlands zu versenden!“[67] Lang wurde aber für all diese Mühen reichlich entlohnt.
[1] So August Lang in seiner Autobiographie: Herr, weise mir Deinen Weg! Erinnerungen eines 75jährigen (ms.), S. 41. Zu Lang und seinen Erinnerungen s.u. – Dieser Aufsatz ist zuerst mit anderem Untertitel erschienen in: Reformierte Retrospektiven. Vorträge der zweiten Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus (EBzrP 4), Wuppertal 2001, S. 231-265. Der Beitrag wurde leicht gekürzt, nicht jedoch aktualisiert.
[2] Wilhelm Kolfhaus, Christusgemeinschaft bei Johannes Calvin. Neukirchen 1939 (BGLRK III), S. 12.
[3] Das Verhältnis der reformierten Gruppierungen zueinander während der Weimarer Republik, gleichsam als Vorspiel zum reformierten Kirchenkampf, schildert Herwart Vorländer, Aufbruch und Krise. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Reformierten vor dem Kirchenkampf. Neukirchen 1974 (BGLRK XXXVII), Kap. 1: Das Erwachen des reformierten Bewußtseins, S. 11-50. Für die Zeit des Kirchenkampfes vgl. Sigrid Lekebusch, Die Reformierten im Kirchenkampf. Das Ringen des Reformierten Bundes, des Coetus reformierter Prediger und der reformierten Landeskirche Hannover um den reformierten Weg in der Reichskirche. Köln 1994 (SVRKG 113).
[4] Vgl. Friedrich Heinrich Brandes, Art. Reformierter Bund. In: RE3 XVI (1905), S. 521f, hier: S. 522.
[5] Vgl. Elwin Lomberg/Gerhard Nordholt/Alfred Rauhaus (Bearbb.), Die Evangelisch-reformierte Kirche in Nordwestdeutschland. Beiträge zu ihrer Geschichte und Gegenwart. Weener 1982.
[6] Vgl. Jochen Desel/Walter Mogk (Hgg.), 100 Jahre Deutscher Hugenotten-Verein 1890-1990. Geschichte, Personen, Dokumente, Bilder. Bad Karlshafen 1990 (Tagungsschriften des DHV 10).
[7] Vgl. J.F. Gerhard Goeters, Vorgeschichte, Entstehung und erstes Halbjahrhundert des Reformierten Bundes. In: Joachim Guhrt (Hg.), 100 Jahre Reformierter Bund. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart. Bad Bentheim 1984, S. 12-37.
[8] Vgl. die Protokolle der Tagungen des Moderamens 1894-1910 (Landeskirchliches Archiv Detmold, Dep. Archiv Reformierter Bund, Nr. 109).
[9] Vgl. Hans-Georg Ulrichs, Art. Bartels, Petrus Georg . In: Biographisches Lexikon für Ostfriesland, hg. von Martin Tielke, Band II, Aurich 1997, S. 30-33; ders., Art. Bartels, Petrus Georg. In: BBKL XV. Ergänzungen II (1999), Sp. 86-93.
[10] Petrus [Georg] Bartels, Der Heidelberger Katechismus und die Praedestinationslehre. Ein Beitrag zur Geschichte des Eindringens des Kalvinismus in die deutschen reformierten Kirchen. Hameln 1931, Vorwort.
[11] Brief Calaminus‘ an Moderamensmitglieder 12. April 1902 (Landeskirchliches Archiv Detmold, Dep. Archiv Reformierter Bund, Nr. 55).
[12] Auch als Einzelpublikation: A. Erichson, Bibliographia Calviniana. Berlin 1900 (ND Nieuwkoop 1960).
[13] Friedrich Heinrich Brandes, Art. Reformierter Bund. In: RE3 XVI (1905), S. 521f.
[14] J.F.G. Goeters, Vorgeschichte, aaO., S. 25.
[15] RKZ 30 (1907), S. 410.
[16] Vgl. Matthias Freudenberg, Art. Müller, Ernst Friedrich Karl. In: BBKL XIV. Ergänzungen I (1998), Sp. 1285-1298, hier: Sp. 1287; Karl E. Haas, Die Evangelisch-Reformierte Kirche in Bayern. Ihr Wesen und ihre Geschichte. 2. erweitertes Tausend, Neustadt/Aisch 1982, S. 69: E.F.K. Müller sei „von unschätzbarer Bedeutung für die theologische Besinnung der Reformierten um die Jahrhundertwende auf ihren Lehrmeister Calvin und die reformierten Bekenntnisschriften [gewesen]. Erlangen war damals neben Halle (August Lang) Quellort reformierter Theologie bis zur Zeit Karl Barths.“ Vgl. aaO., S. 246f.
[17] J.F. Gerhard Goeters, Vorgeschichte, aaO., S. 27f.
[18] Das Manuskript in zahlreichen Kladden wurde transkribiert durch Langs Enkel Jürgen Reuter (früher Halle, jetzt Naumburg). Bei ihm liegen die Rechte. Ich bin P.i.R. Reuter sehr dankbar, dass er mir Einblick in die Erinnerungen seines Großvaters gewährt.
[19] Vgl. Klaus-Gunther Wesseling, Art. Lang, August. In: BBKL IV (1992), S. 1077f.
[20] Über Langs Wirken als Moderator des Reformierten Bundes von 1919 bis 1934 vgl. den Aufsatz von Jürgen Reuter in diesem Band.
[21] Das ging gar soweit, dass der Schwiegervater das Buch des Schwiegersohnes über Calvin rezensierte. In: RKZ 32 (1909), S. 189.
[22] Zur Sitzung in Freudenberg vgl. Protokollbuch, aaO., Nr. 104.
[23] RKZ 28 (1905), S. 298.
[24] Villaret, Calvindenkmal oder Calvinstiftung. In: RKZ 29 (1906), S. 41-43. Vgl. auch aaO., S. 382. – Lang hat offensichtlich das Vorpreschen Villarets verdrängt (auf dem Hintergrund seiner eigenen überragenden Rolle?). Villaret legt eine bemerkenswerte Beurteilung vor: Calvin „hat das Evangelium aus der nationalen Gebundenheit, in der es sowohl bei Zwingli als auch bei Luther auftrat, befreit, und zu einer universalistischen Religion ausgestaltet, die den romanischen wie den germanischen, den ungarischen wie den slawischen Völkern gleich annehmbar war.“ AaO., S. 41. Villaret polemisiert gegen das „überflüssige[.] Denkmal“ und plädiert für eine Calvinstiftung zur Unterstützung bedürftiger Reformierter, in Deutschland und im Ausland. Im Jahrgang 30 (1907) der RKZ wurde ausführlich pro und contra Denkmal argumentiert. – Ebenfalls früh, schon im September 1905, war der Hugenottenverein (dem Villaret angehörte?) auf seiner Generalversammlung in Bückeburg mit dem Jubiläum beschäftigt gewesen, wie man auch in Genf wusste, vgl. RKZ 30 (1907), S. 57, S. 98f.
[25] RKZ 30 (1907), S. 57: „Wir haben vor kurzem durch die Zeitungen [sic!] erfahren, daß der Reformierte Bund, indem er beschloß, bei Anlaß des 400. Geburtstags Calvins einen Fonds zu gründen, von der Errichtung eines Denkmals abgesehen hat. Um so mehr hoffen wir, daß der Bund und seine Anhänger unser Vorhaben willkommen heißen werden“.
[26] Vgl. RKZ 30 (1907), S. 57.
[27] RKZ 30 (1907), S. 98f. Correvon zeiht die Deutschen ihres „angeborenen Hang[s] zum Partikularismus“. Correvon unterhielt persönliche Beziehungen nach Genf; ob er die Genfer gelegentlich mit Informationen aus der deutschen Diskussion versorgte? Zu Correvon vgl. Barbara Dölemeyer in: 100 Jahre Deutscher Hugenotten-Verein, S. 195-199.
[28] Vgl. RKZ 30 (1907), S. 142.
[29] Als zeitgenössisches Flugblatt in den landeskirchlichen Archiven Leer und Detmold. Vgl. RKZ 30 (1907), 377f.
[30] Im Original „Denkmal der Reformation“ fett und zentriert gesetzt.
[31] RKZ 30 (1907), S. 357.
[32] Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt für die evangelisch-reformierte Kirche der Provinz Hannover, Nr. 69 vom 21. August 1907, S. 371. – Ob der Schreibfehler beim Namen des Moderators des Reformierten Bundes (Brandis) darauf hinweisen könnte, dass die Verbindung von Aurich nach Bückeburg bzw. Wuppertal noch nicht sehr gut waren?
[33] Brief Langs an Calaminus vom 16.9.1908 (Landeskirchliches Archiv Detmold, Dep. Archiv Reformierter Bund, Nr. 76).
[34] Vgl. Walter Deeters, Art. Innhausen und Knyphausen, Edzard. In: Biographisches Lexikon für Ostfriesland, hg. von Martin Tielke, Band I, Aurich 1993, S. 202f. Leider wird hier Edzards kirchliche Rolle nicht gewürdigt, dabei stand er neben P.G. Bartels für die jahrzehntelange Kontinuität in der reformierten Landeskirche. Übrigens nutzte Lang den Brief abschließend, um einige Fragen seiner Berufungsaussichten bei Edzard zu erwägen; offensichtlich verfügte der ostfriesische Fürst durchaus über Einfluss in preußischen Ministerien.
[35] F.H. Brandes, Die zwölfte Tagung des Reformierten Bundes für Deutschland in Odenkirchen. In: RKZ 30 (1907), S. 324ff. – Vgl. auch Calaminus‘ in Odenkirchen gehaltenen „Bericht über die Angelegenheiten des Reformirten Bundes für die Zeit vom 30. August 1905 bis 5. September 1907“. In: RKZ 30 (1907), S. 410-412.
[36] „[...] wie denn überhaupt die ganze Tagung in Odenkirchen schon im Zeichen der Calvinfeier stand, was auch in dem mit des Reformators Bild geschmückten Programm zutage trat.“ AaO., S. 324.
[37] Der Vergleichspunkt ist also nicht die bescheidene Zwingli-Feier 1884, gelegentlich der der Reformierte Bund gegründet wurde. Auch in der Öffentlichkeit wird immer wieder vor 1909 auf das Lutherjahr 1883 hingewiesen. Vgl. auch Brief Langs an Calaminus 16.9.1908, aaO.: „Wie viel ist seit 1883 [...] für Luther geschehen! [...] Wir wären froh, wenn das Jubiläum Calvins nur etwas entfernt Ähnliches für Calvin zur Folge hätte.“ Da bräuchte es aber eine gut funktionierende Organisation. Eine Relativierung des behaupteten gesamtkirchlichen Sinnes stellt aber Langs Forderung dar, dass auf keinen Fall der Berliner EOK beim Fonds mitreden dürfe. Von Gedanken an eine „Gründung eines ref[ormierten] Konvikts in Erlangen u. dgl. muß natürlich geschwiegen werden“.
[38] Wenige Monate später muss sich Lang entschuldigen, dass „der eine oder andere Name übersehen ist.“ In: RKZ 31 (1908), S. 34.
[39] Zur Geschichte des Reformierten Conviktes an der Kleinen Klausstraße vgl. die Festschrift von 1930 „Das reformierte Studien-Konvikt in Halle“.
[40] Beide Druckfassungen finden sich im landeskirchlichen Archiv der ErK, die Korrektur trägt einen Stempel vom 16. Oktober 1907.
[41] Vgl. Brief L. Gautier an Lang vom 11. Dezember 1907. In: RKZ 31 (1908), S. 34.
[42] RKZ 31 (1908), S. 203.
[43] Wilhelm Rotscheidt, Auch ein Calvin-Denkmal. In: RKZ 30 (1907), S. 84f.
[44] RKZ 30 (1907), S. 98.
[45] Wilhelm Gustav Goeters, Die deutsche Ausgabe von Calvin’s Institutio. In: RKZ 30 (1907), S. 131f. – Zu diesem heute leider fast unbekannten reformierten Kirchenhistoriker vgl. den Art. des Vf. In: RGG4 III (2000).
[46] Wilhelm Kolfhaus, Zur Übersetzung der Institutio. In: RKZ 30 (1907), S. 148f.
[47] RKZ 30 (1907), S. 357.
[48] RKZ 32 (1909), S. 375. – Vgl. die Einleitung von E.F.K. Müller, „der sich gern als dankbaren Schüler Calvins bekennt“, in der ersten Auflage 1909 und die Vorbemerkung zur zweiten Auflage 1928.
[49] So Wilhelm Hadorn in: RKZ 32 (1909), S. 219.
[50] RKZ 32 (1909), S. 169.
[51] Ebd.
[52] Vgl. Protokollbuch des Moderamens (Landeskirchliches Archiv Detmold, Dep. Archiv Reformierter Bund; gedruckte Einladung vom 27.4.1908 und Tagesordnung, 109). Dort findet sich ein sehr instruktiver Brief des theologischen Nestors der Reformierten, E.F.K. Müller aus Erlangen vom 12.6.1908 an Brandes, in dem er sich besonders für die „rechtzeitig“ zu erscheinende „Kleinlitteratur“ einsetzt. Er gibt eine Anregung weiter, „daß die Tagespresse aller Richtungen einige Wochen vor dem 10. Juli mit Stoff zu versorgen wäre [...] Ähnlich wären die Sonntagsblätter zu versorgen [...] und der Erfolg würde sein, daß unser gesamtes Volk wenigstens etwas von Calvin hörte.“
[53] Karl Mirbt, Johannes Calvin. Rede. 1909 (Flugschriften des Evangelischen Bundes, Nr. 272); Carl Heinrich Cornhill, Zu Johannes Calvins Gedächtnis. Rede. 1909 (Flugschriften des Evangelischen Bundes, Nr. 273); August Lang, Die weltgeschichtliche Bedeutung Calvins. In: Kirchliche Korrespondenz des Evangelischen Bundes 23 (1909), Nr. 7.
[54] RKZ 31 (1908), S. 245.
[55] Landeskirchliches Archiv Detmold, Dep. Archiv Reformierter Bund, Nr. 76. Laut RKZ 31 (1908), S. 370 ging das Schreiben an 330 Presbyterien.
[56] Z.B. von Pastor Winkelmann (Hohenlimburg) an die westfälische Provinzialsynode. In: RKZ 31 (1908), S. 316; von Calaminus und 25 Genossen an die rheinische Provinzialsynode. In: aaO., S. 333. Der Inhalt des Beschlusses (kirchliche Feier und fakultative Kollekte für den Fonds) der sächsischen Provinzialsynode in: aaO., S. 371.
[57] Vgl. z.B. Antrag von Wilhelm Rothscheidt namens des „Predigervereins der reformierten Gemeinden im vormaligen Herzogtum Bremen“ an das Moderamen vom 2.6.1908 (Landeskirchliches Archiv Detmold, Dep. Archiv Reformierter Bund, Nr. 109).
[58] Vgl. Wilhelm Niesel, Calvin-Bibliographie 1901-1959. München 1961 (im folgenden: Niesel-Bibliographie), Nrr. 325-432 und weitere. Ein zeitgenössisches Verzeichnis von Schriften von und über Calvin, in: RKZ 32 (1909), S. 129f. Die Calvin-Kleinliteratur, vom Reformierten Bund erwünscht und gefördert, wurde von der Gruppe um Fritz Horn in Bausch und Bogen verdammt, weil darin der Versuch gemacht werde, Calvin zu modernisieren; dagegen seien allein Calvins Schriftauslegungen empfehlenswert, vgl. Korrespondenzblatt der Freunde des Heidelberger Katechismus 7 (1909), S. 125f. (vorhanden in: Bücherei der ev.-ref. Gemeinde Elberfeld, jetzt Superintendentur Elberfeld, historische Bibliothek, Z 31).
[59] Vgl. Giesebert Stokmann, Auch ein Calvin-Denkmal. In: RKZ 32 (1909), S. 82. – Der Emder Pfarrer und Kreisschulinspektor Stokmann (1855-1926) publizierte mehrere Bücher; während seines Pfarramtes wurde die kunsthistorisch interessante Jugendstil-Kirche in Emden-Borssum erbaut. 1916 ging Stokmann krankheitsbedingt in den Ruhestand und unterrichtete an der Barmer Missionsschule. Sein Vikarsschüler Harmannus Obendiek gab posthum eine Ethik von ihm heraus: Ringe recht! Eine evangelische Ethik als Anweisung zum christlichen Leben, Schwerin 1928. – Eine kleine biographische Studie über diesen Vertreter des reformierten Protestantismus vor Barth ist ein Desiderat.
[60] RKZ 32 (1909), S. 26. Es handelt sich um eine Kantate über Psalm 100 (von Cornelius Becker) des Stettiner Schloßorganisten Ulrich Hildebrandt. Vgl. aaO., S. 239.
[61] Das Bild kam auf Veranlassung von Pastor Rodenhauser (Norden), der dann auch im Juli Delegierter in Genf war, zustande, wie er selbst berichtet: Eine hochwillkommene Gabe zum Calvin-Jubiläum. In: RKZ 32 (1909), S. 202, vgl. auch Reformiertes Wochenblatt [Elberfeld] 54 (1909), S. 212-214. – Der Maler Karl Bauer darf nicht mit dem reformierten Kirchenhistoriker gleichen Namens, an den Vf. erinnert hat (Karl Bauer [1874-1939]. Ein vergessener reformierter Kirchenhistoriker. In: RKZ 140 [1999], S. 86-92. Vgl. auch ders., Art. Bauer, Karl Christof Gustav Adolf. In: BBKL XVI. Ergänzungen III [1999], Sp. 58-65), verwechselt werden. – Vgl. auch Emile Doumergue, Iconographie Calvinienne, Lausanne 1909 (276 S.). In Genf wurde eine kleine bebilderte Festschrift vertrieben: Jubilé de 1909 Jean Calvin 1509-1564. Douze Estampes de H. van Muyden, Texte de H. Denkinger, édité par la Compagnie des Pasteurs de l’Église de Genève. Genf 1909.
[62] ChW 23 (1909), Nr. 28 vom 8. Juli 1909, Sp. 671.
[63] Erschienen im Verlag des reformierten Schriftenvereins, G. Dieterich, Elberfeld.
[64] Wilhelm Rothscheidt, Johann Calvin im Spiegel der Dichtung. Lehe 1909 (Niesel-Bibliographie Nr. 303), vgl. RKZ 32
©Hans-Georg Ulrichs, Karlsruhe
Als Reformator Genfs und "größter Schüler Luthers" erneuerte Calvin neben der Lehre auch die Praxis des Glaubens - eine Biografie.